Abgrund der Lust
Entschuldigungen.
»Ja«, sagte Gabriel tonlos. Seine Stimme war eine flüchtige Liebkosung an ihrem Nacken und ihrer Schulter.
Victoria starrte auf die Frau mit der kupferfarbenen Haut, die in der Dusche gefangen war. Fünf kupferfarbene Finger prägten sich in ihren Bauch; ihre linke Brust war beschützend von einer kupfernen Hand umfangen. Kupferblondes Haar vermengte sich mit wasserschwarzem Haar.
Tränen brannten Victoria in den Augen. Sie musste es wissen.
»Was ist passiert, nachdem sie mit dir fertig waren?«
»Sie ließen mich liegen.« Aber nicht, um zu sterben.
Gabriels Worte wurden von Victorias Haar und Haut erstickt; ihre Bedeutung jedoch nicht.
Sie hatten nicht gewollt, dass Gabriel starb. Aber er hatte sterben wollen.
»Wer hat dich befreit?«, fragte sie mit unsicherer Stimme und kannte die Antwort.
»Michael.« Der Auserwählte.
Ein Junge mit hungrigen Augen, der nicht gebettelt hatte.
»Er ist kein Franzose.« Wasser kroch ihren Nacken herunter. »Wie kam es, dass er in Calais war?«
»Er war als blinder Passagier auf einem Schiff aus Dover herübergekommen, als wir dreizehn waren.« Gabriels Stimme war distanziert;seine Lippen bewegten sich an ihrem Haar und darunter an ihrem Nacken. Das Haar auf seiner Brust und seinem Bauch kitzelte sie im Rücken; das drahtige Haar seiner Lenden kitzelte ihre Pobacken. »Ich beobachtete ihn, als er einen Laib Brot aus der Auslage eines Bäckers stahl; es war offensichtlich, dass er noch nie gestohlen hatte. Ich klopfte an das Fenster, um den Bäcker abzulenken, damit er nicht erwischt wurde; dann folgte ich ihm. Michael teilte das Brot mit mir auf dem Weg nach Paris.«
In Paris waren sie beide zu Prostituierten ausgebildet worden.
Victoria hörte nicht nur, was Gabriel sagte, sondern auch, was er nicht sagte. Wenn Michael nicht zu stehlen verstand, war er auch nicht auf der Straße geboren. Gabriel hatte sich nach einem Engel benannt, um Michaels Freundschaft würdig zu sein.
Eine lange Weile verging; Dampf löste sich in dünne graue Dunstschwaden auf. Wasserperlen liefen an dem kupfernen Mann und der Frau in der Duschgrotte herab.
Ihr Hinterteil tat weh von Gabriel, dem Mann; ihr Herz tat weh um des Jungen willen, der ein Engel hatte sein wollen.
Heißer Atem streifte Victorias Ohr. »Ich habe Michael angebettelt, mich sterben zu lassen.«
Aber Michael hatte ihn nicht sterben lassen.
Gabriels Worte brannten die Wahrheit in Victorias Haut ein: Michael liebte Gabriel ebenso wie Gabriel Michael liebte.
Er hatte nicht verdient zu leiden.
»Du hast den ersten Mann getötet.« Plötzlich hallte Wut durch die Kupfergrotte. »Warum hast du den zweiten Mann nicht getötet?«
Vor sechs Monaten wäre Victoria über ihre Blutrünstigkeit entsetzt gewesen. Damals hatte sie noch nicht gewusst, dass Lust zur Waffe werden konnte.
»Ich konnte ihn nicht finden.«
Victorias Herz pochte gegen seine fünf Finger. Ein Mann hatte Gabriel vernichtet und …
Sie versuchte, den Kopf zu wenden, um Gabriel anzusehen; ihr Haar, das sich zwischen ihnen verfangen hatte, hinderte sie daran. »Kanntest du seinen Namen?«
»Nein.«
»Und jetzt?«
»Ich weiß seinen Namen immer noch nicht.«
Aber Gabriel wusste etwas über diesen Mann, der ihm systematisch Leid zugefügt hatte. Etwas, was er Victoria nicht sagte.
Etwas, was sich zwischen die Liebe gestellt hatte, die zwei Engel miteinander verband.
Victorias Knie schmerzten; Gabriels Körperwärme hielt sie.
Sie wollte ihn berühren; sie hatte Angst davor. Sie hatte Angst, ihm noch mehr Schmerz zuzufügen.
»Wie lange bist du schon Besitzer dieses Hauses?«, fragte sie, um ihn abzulenken, um ihn zu halten.
Um ihm den Trost zu geben, den er immer noch nicht annehmen konnte.
Gabriel setzte sich auf die Fersen, zog Victoria auf seine festen, behaarten Schenkel, damit sie nicht mehr auf hartem, unnachgiebigen Kupfer kniete.
Ebenso hartes Fleisch drückte sich in ihr Hinterteil.
Victorias Herz schlug schneller.
Gabriel atmete heftiger. »Vierzehn Jahre.«
Ich habe seit vierzehn Jahren, acht Monaten, zwei Wochen und sechs Tagen keine Frau mehr angerührt , hatte er ihr an dem Abend gesagt, als sie ihre Jungfräulichkeit versteigert hatte.
»Du hast dein erstes Haus gebaut …«, Victoria tastete nach der Wahrheit, »… um diesen Mann anzulocken?«
»Ja.«
Aber er hatte sich nicht anlocken lassen. Und Gabriel hatte sein Haus niedergebrannt. Nur um es wieder aufzubauen.
»Wieso ist er nach all diesen
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