Abgrund: Roman (German Edition)
den man verliert, kann zu einer gewissen Befriedigung führen.
»Beruhigen Sie sich«, sagt der Mann – jetzt erkennt sie, dass es vier sind, einschließlich desjenigen, der gerade die Kabine verlässt und unter dessen Gesichtsmaske sich ein roter Fleck ausbreitet. »Wir möchten Ihnen nichts tun. Aber wissen Sie, Sie hätten nicht versuchen sollen, zu entkommen.«
»Entkommen?« Seine Kleider sehen genauso aus wie die der anderen, auch wenn sie keine Uniformen tragen: Es sind locker sitzende, weiße Overalls, die unverkennbar nach Einwegkleidung aussehen. Keine Rangabzeichen. Keine Namensschilder. Caraco richtet ihre Aufmerksamkeit auf das U-Boot selbst.
»Wir werden Ihnen jetzt die Taucherhaut ausziehen«, sagt Elektroschockermann. »Und Sie einer kurzen ärztlichen Untersuchung unterziehen. Ich kann Ihnen versichern, dass es nicht allzu unangenehm wird.«
Der Krümmung der Kabinendecke nach zu schließen, handelt es sich um kein besonders großes Gefährt. Doch es ist schnell. Das hat Caraco gleich erkannt, als es in der Dunkelheit über ihr aufgetaucht ist. In dem Moment hat sie nicht sonderlich viel davon sehen können, doch es hat ausgereicht. Das Boot hat Tragflächen; es könnte einen Schwertwal auf Steroiden überholen.
»Wer sind Sie eigentlich?«, fragt sie.
»Wir wären Ihnen sehr dankbar für Ihre Kooperation«, sagt der Kerl mit dem Elektroschocker, als hätte er sie nicht gehört. »Und dann können Sie uns vielleicht erklären, wovor Sie eigentlich hier mitten im Pazifik zu fliehen versuchen.«
»Fliehen?« Caraco schnaubt verächtlich. »Ich bin Runden geschwommen, Sie Idiot.«
»Aha.« Er steckt den Elektroschocker in ein Holster an seinem Gürtel zurück, eine Hand jedoch weiterhin auf seinem Griff.
Die Pistole ist zurückgekehrt, nur dass sie inzwischen den Besitzer gewechselt hat. Sie sieht aus wie eine Mischung aus einem Tacker und einem Stromprüfgerät. Die Rothaarige drückt sie fest gegen Caracos Schulter. Caraco muss gegen den Drang ankämpfen, sie zurückzustoßen. Ein schwaches elektrisches Prickeln, und ihre Taucherhaut fällt in Stücken herab. Erst an ihren Armen, dann an den Beinen. Ihr Rumpf reißt auf wie ein sich häutendes Insekt und fällt mit einem Kurzschluss zu Boden. Vollkommen gehäutet steht sie da, von Fremden umringt. Aus einem Spiegel an der Schottwand blickt ihr eine nackte Mulattin entgegen. Selbst ohne Kleider sieht sie noch kräftig aus. Ihre Augen, leuchtend weiß in dem dunklen Gesicht, wirken kalt und unverwundbar. Sie lächelt.
»War doch gar nicht so schlimm, oder?« In der Stimme der Frau liegt eine professionelle Freundlichkeit. Als hätte ich sie nicht gerade zu Boden geschickt .
Sie führen sie durch einen Gang zu einem Tisch in einer engen Krankenstation. Die Rothaarige legt Caraco ihre von einer Membran überzogene Hand auf den Arm. Ihre Berührung fühlt sich ein wenig klebrig an. Caraco schüttelt sie ab. Außer ihr passen höchstens noch zwei weitere Menschen in den Raum, doch drei quetschen sich hinein: die Rothaarige, Elektroschockermann und ein weiterer Mann, der klein und ein wenig dicklich ist. Caraco mustert sein Gesicht, doch durch das Kondom kann sie keine Einzelheiten erkennen.
»Ich hoffe, Sie können durch dieses Ding besser sehen als ich«, sagt sie.
Ein leises Summen im Hintergrund, das bis jetzt so gleichförmig war, dass sie es nicht bemerkt hat, verändert nun langsam die Tonlage. Plötzlich ist eine Art Beschleunigung zu spüren; Caraco schwankt ein wenig und hält sich am Tisch fest.
»Wenn Sie sich bitte einfach hinlegen würden, Ms. Caraco …«
Sie legen sie auf den Tisch. Der dickliche Mann befestigt einige Kontakte an strategisch günstigen Punkten entlang ihres Körpers und nimmt ein paar Proben. »Nein, das sieht nicht gut aus. Ganz und gar nicht.« Ein kantonesischer Akzent. »Der Turgor der Epithelzellen ist zu niedrig. Wissen Sie, es heißt zwar Taucher haut , aber Sie sollten sie eigentlich nicht ständig tragen.« Die Berührung seiner Finger auf ihrer Haut; wie bei der Rothaarigen spürt sie dünnes, klebriges Gummi. »Schauen Sie sich doch einmal an«, sagt er. »Die Hälfte Ihrer Talgdrüsen funktioniert nicht mehr, Ihre Vitamin-K-Werte sind zu niedrig, und Ihre UV-Licht-Bestrahlung haben Sie auch vernachlässigt, stimmt’s?«
Caraco antwortet nicht. Zu ihrer Linken nimmt Mr. Kanton weitere Proben. Die Rothaarige auf der anderen Seite des Tisches schenkt ihr ein Lächeln. Vermutlich soll es beruhigend
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