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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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gesagt, was sie gesehen hat?«
    »Nein. Sie hat nur gesagt, dass da etwas gewesen ist, und dann habe ich nichts mehr von ihr gehört.«
    »Das Signal auf dem Echolot. Wie groß war es?«
    »Ich weiß es nicht! Es ist nur ganz kurz zu sehen gewesen, und die Streuschicht …«
    »Könnte es ein U-Boot gewesen sein, Alice?«
    »Ich weiß es nicht!«, ruft die körperlose Stimme voller Angst. »Warum? Wozu sollte jemand …?«
    Niemand antwortet. Die Tintenfische rasen weiter.

Ekdysis
    Sie stoßen sie aus der Luftschleuse, immer noch in dem Haftnetz gefangen. Sie weiß es besser, als sich unter diesen Bedingungen zur Wehr zu setzen, doch die Lage muss sich bald ändern. Sie glaubt, dass sie versucht haben, sie in der Schleuse mit Gas zu betäuben. Warum sonst würden sie ihre Headsets aufbehalten, nachdem das Wasser aus der Schleuse gewichen ist? Und was hatte das leise Zischen zu bedeuten, das nach dem Druckausgleich einige Sekunden zu lang angehalten hat? Der Hinweis war leicht zu überhören gewesen. Doch jemand, der ein knappes Jahr in der Riftzone verbracht hat, weiß, was für Geräusche eine Luftschleuse verursacht. Und an dieser hier war irgendetwas anders.
    Aber das spielt keine Rolle. Es ist erstaunlich, wie viel Sauerstoff sie per Elektrolyse aus dem wenigen Wasser gewinnen kann, das noch in den Leitungen in ihrer Brust verblieben ist. Judy Caraco kann ihre Luft bis zum St. Nimmerleinstag anhalten – was immer das auch bedeuten mag. Und nun glauben sie vielleicht, dass ihre zur Gaskammer umfunktionierte Luftschleuse sie betäubt hat, dass sie bewusstlos oder zumindest sehr träge ist. Vielleicht befreien sie sie ja jetzt aus diesem verdammten Netz.
    Sie wartet, ohne sich zu rühren. Und tatsächlich ist ein leises elektrisches Knistern zu hören, und das Netz löst sich von ihr. All die klebrigen Molekularketten werden umgepolt wie Klettband, das sich plötzlich in glattes Katzenfell verwandelt. Sie blickt sich durch glasige Augenkappen um, ohne zu blinzeln – an ihren Augen können sie nicht das Geringste ablesen –, und zählt drei von ihnen, wobei sich hinter ihr möglicherweise noch mehr befinden.
    Sie sehen aus wie Zombies.
    Ihre Haut ist von der Gelbsucht befallen, und ihre Fingernägel heben sich kaum von ihren Fingern ab. Ihre Gesichter sind leicht verzerrt und hinter einer straff gespannten, gelblichen Membran nur undeutlich zu erkennen. Wachsartige, dunkle Ovale ragen an der Stelle aus dem Überzug, wo sich ihre Münder befinden müssten.
    Körperkondome, wird Caraco kurz darauf klar. Was hat das zu bedeuten? Glauben sie, ich hätte eine ansteckende Krankheit?
    Und einen Moment später: Bin ich vielleicht tatsächlich krank?
    Einer von ihnen kommt auf sie zu, in der Hand etwas, das wie eine Pistole aussieht.
    Sie schlägt nach ihm. Eigentlich hätte sie lieber getreten – in den Beinen hat sie mehr Kraft –, doch die blöden Arschlöcher haben sich nicht die Mühe gemacht, ihr die Schwimmflossen auszuziehen. Ihre Faust trifft ihr Ziel: eine Nase, wie es sich anfühlt. Eine Nase unter Latex. Ein befriedigendes Knirschen ist zu hören. Jemand hat plötzlich Grund, seine Unvorsichtigkeit zu bereuen.
    Einen Moment lang herrscht überraschtes Schweigen. Caraco nutzt den Augenblick, um sich auf die Seite zu drehen, mit einem schwimmflossenbewehrten Fuß nach hinten zu treten und ihn mit dem Hacken voran jemand in die Kniekehle zu rammen. Eine Frau schreit auf, ein verdutztes Gesicht stürzt zu Boden, an dessen Wange eine rote Haarsträhne klebt. Judy Caraco beugt sich vor, um sich die großen clownähnlichen Schwimmflossen auszuziehen, bevor …
    Die Spitze eines Elektroschockers schwebt zehn Zentimeter von ihrer Nase entfernt in der Luft, ohne zu zittern. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit – wie weit würde ich schon damit kommen? – hält Caraco schließlich inne.
    »Stehen Sie auf«, sagt der Mann mit dem Elektroschocker. Durch das Kondom hindurch kann sie seine Züge kaum erkennen. An der Stelle, wo sich seine Augen befinden müssten, sind nur Schatten zu sehen.
    Langsam zieht sie sich die Schwimmflossen aus und erhebt sich. Natürlich hatte sie von Anfang an keine Chance. Das hat sie die ganze Zeit gewusst. Aber offenbar brauchen die sie aus irgendeinem Grund lebend, sonst hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, sie an Bord zu holen. Und sie will den Scheißkerlen ihrerseits klarmachen, dass sie sich von ihnen nicht einschüchtern lässt, ganz gleich wie viele es sind. Selbst ein Kampf,

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