Abgrund: Roman (German Edition)
sein, aber es ist halb hinter dem ovalen Mundstück verborgen. Zu Caracos Füßen steht Elektroschockermann reglos vor der Luke zum Gang.
»Sie haben zu viel Zeit in dieser Taucherhaut verbracht«, sagt Mr. Kanton. »Haben Sie sie jemals ausgezogen? Vielleicht wenn Sie draußen waren?«
Die Rothaarige lehnt sich verschwörerisch vor. »Das ist wichtig, Judy. Es könnte Folgen für Ihre Gesundheit haben. Wir müssen unbedingt wissen, ob Sie jemals außerhalb der Station Ihren Anzug geöffnet haben. Vielleicht wegen irgendeines Notfalls?«
»Zum Beispiel, weil … etwas ein Loch in Ihre Taucherhaut gerissen hat.« Mr. Kanton befestigt ein okularähnliches Gerät an der Membran über seinem linken Auge und blickt damit in Caracos Ohr. »Diese Narbe an Ihrem Bein beispielsweise. Sie ist ziemlich groß.«
Die Rothaarige streicht mit dem Finger über die Erhebung an Caracos Wade. »Ja. Einer der großen Fische, nehme ich an?«
Caraco blickt zu ihr hoch. »Wenn Sie es sagen.«
»Das muss eine tiefe Wunde gewesen sein.« Wieder Mr. Kanton. »Ist sie das wirklich?«
»Was?«
»Ein Souvenir von einem der berühmten Ungeheuer?«
»Haben Sie denn nicht meine Krankenakte?«
»Es wäre einfacher, wenn Sie uns die Mühe ersparen würden, sie herunterladen zu müssen«, erklärt die Rothaarige.
»Wieso? Haben Sie es eilig?«
Elektroschockermann tritt einen Schritt vor. »Eigentlich nicht. Wir können warten. Doch in der Zwischenzeit sollten wir Ihnen vielleicht schon einmal diese Augenkappen herausnehmen.«
»Nein.« Der Gedanke versetzt sie in panische Angst, obwohl sie nicht einmal weiß, warum.
»Sie brauchen sie nicht mehr, Ms. Caraco.« Ein Lächeln, ein zivilisiertes Entblößen der Zähne. »Entspannen Sie sich. Sie sind auf dem Weg nach Hause.«
»Scheiß drauf! Die Augenkappen bleiben drin.« Sie richtet sich auf und spürt, wie die Kontakte von ihrer Haut abreißen.
Plötzlich werden ihre Arme auf die Liege gedrückt, von Mr. Kanton auf der einen und der Rothaarigen auf der anderen Seite.
»Fickt euch doch!« Sie tritt mit dem Fuß aus und trifft Elektroschockermann am Unterkörper. Der Schocker fällt aus dem Holster auf das Deck. Der Mann springt rückwärts aus der Krankenstation und lässt seine Waffe liegen. Plötzlich sind Caracos Arme frei. Mr. Kanton und die Rothaarige weichen vor ihr zurück und drücken sich an die Wand der Kabine, als wollten sie jeden Körperkontakt vermeiden …
Ist auch besser so, denkt Caraco grinsend. Eure albernen, kleinen Machtspielchen könnt ihr bei mir vergessen, ihr Arschlöcher …
Der Asiate schüttelt in einer Mischung aus Trauer und Missbilligung den Kopf. Caracos Körper wird von einem Summen erfüllt, das ihr bis auf die Knochen geht. All ihre Muskeln erschlaffen.
Sie sinkt auf die Neoprenpolsterung zurück, ihre Nerven sirren im Neuroinduktionsfeld des Tisches. Sie versucht sich zu bewegen, doch sämtliche motorischen Nervenverbindungen sind kurzgeschlossen. Die Maschinen in ihrer Brust zucken und stottern, während sie versuchen, aus der Statik Befehle herauszulesen.
Ihre Lunge kollabiert unter ihrem eigenen Gewicht. Sie besitzt nicht mehr genügend Kraft, um sie erneut mit Luft zu füllen.
Sie binden sie fest. Ihre Hand- und Fußgelenke und ihr Oberkörper werden am Tisch festgeschnallt. Sie kann nicht einmal mehr blinzeln.
Das Summen hört auf. Luft strömt durch ihre Kehle und füllt ihre Brust. Es ist ein herrliches Gefühl, wieder atmen zu können. »Wie geht es ihrem Herz?«, fragt Elektroschockermann.
»Gut. Einige unbedeutende Rhythmusstörungen am Anfang, aber jetzt ist alles im grünen Bereich.«
Mr. Kanton beugt sich von der Stirnseite des Tisches über sie. Es sieht aus, als sei die Haut einer Made über ein menschliches Gesicht gezogen. »Alles ist gut, Ms. Caraco. Wir wollen Ihnen nur helfen. Verstehen Sie mich?«
Sie versucht zu sprechen, doch es kostet sie einige Anstrengung. »Nnnn…N…B…«
»Wie bitte?«
»S-Scanlon steckt dahinter, nicht wahr? D-das ist s-seine verdammte Rache an uns.«
Mr. Kanton blickt zu jemandem hoch, der sich außerhalb von Caracos Blickfeld befindet.
»Ein Arbeitspsychologe.« Die Stimme der Rothaarigen. »Nicht weiter wichtig.«
Er blickt wieder nach unten. »Ms. Caraco, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Wir werden Ihnen jetzt die Augenkappen herausnehmen. Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Entspannen Sie sich einfach.«
Hände halten ihren Kopf fest. Caraco kneift die Augen zusammen; doch sie
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