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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Sämtliche Fenster in der Stadt waren explodiert.
    Damals hatte sie nicht viel von den Schäden zu sehen bekommen. Sie war in ihrem Hotel gefangen gewesen, nachdem sechsundvierzig Stockwerke Glas auf die Straßen vor dem Gebäude niedergegangen waren. Es war ein gutes Hotel gewesen, das seine fünf Sterne verdient hatte; die Fenster im Erdgeschoss zumindest waren nicht zu Bruch gegangen. Rowan erinnerte sich, wie sie von der Lobby aus in einen sechs Meter tiefen, dunkelgrünen Gletscher aus zerbrochenem Glas geblickt hatte. Zwischen den einzelnen zersplitterten Glasscheiben waren Einschlüsse aus Blut, Trümmern und abgetrennten Körperteilen zu sehen gewesen. Ein dunkelhäutiger Arm hatte direkt vor dem Fenster der Lobby aus dem Glas geragt, drei Meter über dem Erdboden. Ihm hatten drei Finger und der dazugehörige Körper gefehlt. Die Finger hatte sie einen Meter weiter entdeckt, wie zusammengepresste, schwebende Würste, doch sie hatte nicht feststellen können, welche der Leichen, wenn überhaupt, den Arm verloren hatte.
    Sie erinnerte sich, dass sie sich kurz gefragt hatte, wie er in eine solche Höhe hatte gelangen können, und sich dann in einen Papierkorb hatte übergeben müssen.
    Das konnte hier natürlich nicht passieren. Schließlich war dies N’AmPaz; hier gab es Richtlinien. Sämtliche Gebäude im Inland besaßen Fenster, deren Bruchstücke bei einem Erdbeben nach innen fallen sollten. Keine ideale Lösung – besonders für diejenigen, die sich zum gegebenen Zeitpunkt im Innern befanden –, aber es war der bestmögliche Kompromiss. Glas, das in einem Raum zu Boden fällt, kann nicht einmal annähernd die Geschwindigkeit entwickeln, die es erreichen würde, wenn es von einem Wolkenkratzer herab zu Boden fällt.
    Ein schwacher Trost.
    Gäbe es doch nur eine andere Möglichkeit, eine derart große Fläche zu desinfizieren. Würde ßehemoth doch nur nicht schon von Natur aus in instabilen Umgebungen leben, und die Bürokraten von N’AmPaz nicht die Erlaubnis besitzen, Atombomben einzusetzen.
    Wäre der Beschluss doch bloß nicht einstimmig gewesen.
    Prioritäten. Milliarden von Menschen. Das Leben, so wie wir es kennen.
    Es war nicht leicht gewesen. In taktischer Hinsicht waren die Entscheidungen eindeutig und richtig gewesen, doch Rowan war es schwergefallen, die Besatzung der Station Beebe unter Quarantäne zu halten. Oder die Entscheidung zu treffen, sie zu opfern. Und nun, da ihnen offenbar trotzdem die Flucht gelungen war …
    Nicht leicht? Ein Erdbeben mit einer Stärke von 9,5 auf der Momenten-Magnituden-Skala auf zehn Millionen Menschen loszulassen? Das nannte sie nicht leicht?
    Es gab kein Wort dafür.
    Und dennoch hatte sie es getan. Die einzige moralische Alternative. Es war nur ein kleiner Mord, der kaum ins Gewicht fiel, verglichen mit dem, was letzten Endes nötig wäre, wenn …
    Nein. Wir machen das, damit keine weiteren Maßnahmen nötig sind.
    Vielleicht konnte sie es deshalb auch über sich bringen, das zu tun. Oder womöglich war auch endlich die Wahrheit bis in ihr Unterbewusstsein durchgedrungen und hatte es dazu veranlasst, die nötigen Schritte zu unternehmen. Irgendetwas hatte ihr jedenfalls einen Ruck gegeben.
    Ich frage mich, was Scanlon wohl dazu sagen würde. Inzwischen war es zu spät, ihn zu fragen. Sie hatte es ihm natürlich nicht gesagt. Sie war nicht einmal in Versuchung geraten, ihm zu sagen, dass sie Bescheid wussten, dass sie sein Geheimnis kannten und er wieder einmal nicht weiter von Bedeutung war. Irgendwie wäre das noch schlimmer gewesen, als ihn zu töten. Sie wollte dem armen Mann nicht wehtun.
    Erneut piepste ihre Armbanduhr. »Override«, stand dort.
    Oh Gott! Oh Gott!
    Es hatte angefangen. Jenseits der Lichter, unter drei Kilometern schwarzem Meerwasser. All die verrückten Kamikaze-Gele wurden mitten aus ihren endlosen imaginären Spielen herausgerissen: Vergesst diesen Unfug. Zeit, in die Luft zu gehen.
    Und vielleicht hatten sie verwirrt erwidert: Nicht jetzt. Es ist der falsche Zeitpunkt. Die Verluste . Doch das spielte keine Rolle mehr. Ein anderer Computer – dieses Mal ein dummer, anorganischer, programmierbarer und vollkommen verlässlicher – hatte die erforderliche Zahlenfolge gesendet, und die Gele waren aus dem Rennen, ganz gleich, was sie dachten.
    Oder vielleicht hatten sie auch nur salutiert und den Weg freigegeben. Womöglich war es ihnen egal. Wer konnte schon noch sagen, was diese Ungeheuer dachten?
    »Detonation«, stand auf der

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