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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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trüben Licht blassgrau aussieht. Er spürt, wie sich die Haut seiner Wange in der plötzlichen Kälte zusammenzieht – ein vertrautes Gefühl.
    Er fährt mit der Bewegung fort und reißt sein Gesicht von einem Ohr zum anderen auf. Unter den Augenflecken des Gespensts öffnet sich – einem Lächeln gleich – eine große klaffende Wunde. Die schwarze Membran hängt wie ein Lappen von seinem Kinn herab.
    In der Mitte der gehäuteten Fläche befindet sich ein vorstehender Wulst. Er bewegt seinen Unterkiefer, der Wulst öffnet sich.
    Inzwischen sind ihm die meisten Zähne ausgefallen. Einige hat er verschluckt und andere ausgespuckt, wenn sie sich gerade dann gelockert haben, wenn die Membran über seinem Gesicht geöffnet war. Es spielt keine Rolle. Die meisten Dinge, von denen er sich hier ernährt, sind sogar noch weicher als er selbst. Und wenn sich eine Molluske oder ein Stachelhäuter einmal als zu zäh oder zu groß erweist, um im Ganzen hinuntergeschluckt zu werden, hat er schließlich noch seine Hände mit den entgegengesetzten Daumen.
    Doch heute sieht er zum ersten Mal die gähnende, zahnlose Ruine, die einmal sein Mund gewesen ist. Und er weiß, dass damit etwas nicht stimmt.
    Was ist mit mir passiert? Was bin ich?
    Du bist Gerry, sagt Schatten. Du bist mein bester Freund. Du hast mich umgebracht. Erinnerst du dich?
    Sie ist fort, begreift Gerry.
    Das ist nicht weiter schlimm.
    Ich weiß. Ja, ich weiß .
    Du hast ihr geholfen, Gerry. Sie ist jetzt in Sicherheit. Du hast sie gerettet.
    Ich weiß . Und ihm fällt wieder etwas ein, etwas Kleines, aber dennoch ungeheuer Wichtiges, bevor plötzlich alles weiß wird wie die Sonne:
    So macht man das, wenn man jemanden wirklich …

Sonnenaufgang
    Der Lifter zog die CSS Forcipiger gerade in seinen Bauch hinauf, als auf dem Hauptbildschirm die Nachricht auftauchte. Joel las sie zweimal, runzelte die Stirn und blickte dann aus dem Fenster. Das graue Licht der Morgendämmerung zog im Osten am Horizont herauf.
    Er sah wieder auf den Bildschirm, doch die Nachricht hatte sich nicht verändert. »Mist. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
    »Was meinen Sie?«, fragte Clarke.
    »Wir fliegen nicht nach Astoria zurück. Oder jedenfalls nur ich allein. Sie hingegen soll ich irgendwo über dem Kontinentalschelf abladen.«
    »Was?« Clarke kam nach vorn und blieb in sicherem Abstand vor dem Cockpit stehen.
    »Hier steht’s. Wir folgen dem üblichen Kurs, aber fünfzehn Klicks von der Küste entfernt gehen wir runter, und Sie steigen aus. Danach fliege ich weiter nach Astoria.«
    »Was ist dort vor der Küste?«
    Er warf einen Blick auf die Anzeige. »Nichts. Nur Wasser.«
    »Ein Schiff vielleicht? Oder ein U-Boot?« Bei dem letzten Wort klang ihre Stimme seltsam dumpf.
    »Möglich. Allerdings wird hier nichts davon erwähnt.« Er knurrte. »Vielleicht sollen Sie den Rest des Weges schwimmen.«
    Die Verankerungen des Lifters schlossen sich um sie. Achtern explodierten gezähmte Blitze und erhitzte Gasblasen. Der Ozean begann unter ihnen zurückzubleiben.
    »Sie wollen mich also einfach mitten im Ozean abladen«, sagte Clarke kalt.
    »Es ist nicht meine Entscheidung.«
    »Natürlich nicht. Sie befolgen nur Befehle.«
    Joel drehte sich um. Ihre Augen starrten ihn an wie zwei Schneewächten.
    »Sie verstehen das nicht«, sagte er. »Das sind keine Befehle. Ich bin nicht derjenige, der den Lifter steuert.«
    »Also wer …«
    »Der Pilot ist ein Gel. Es sagt mir nicht, was ich machen soll. Es setzt uns nur über seine eigenen Handlungen in Kenntnis.«
    Einen Moment lang schwieg sie. Dann sagte sie: »So ist das also inzwischen? Wir nehmen Befehle von Maschinen entgegen?«
    »Irgendjemand muss ursprünglich den Befehl gegeben haben, den das Gel nun befolgt. Noch haben sie nicht die Macht übernommen. Außerdem«, fügte er hinzu, »sind es eigentlich keine Maschinen.«
    »Ach«, sagte sie leise, »da fühle ich mich gleich viel besser.«
    Ein wenig beunruhigt wandte sich Joel wieder der Konsole zu. »Aber das Ganze ist einigermaßen ungewöhnlich.«
    »Tatsächlich?« Clarke schien nicht sonderlich interessiert zu sein.
    »Dass der Befehl von einem Gel kommt, meine ich. Schließlich besitzen wir Funk. Warum hat sich nicht einfach jemand mit uns in Verbindung gesetzt?«
    »Weil Ihre Funkverbindung unterbrochen ist«, sagte Clarke in Gedanken versunken.
    Überrascht warf er einen Blick auf die Diagnoseprogramme. »Nein, sie funktioniert einwandfrei. Ich glaube, ich rufe mal bei der

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