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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Beton knirschte gegen Stahlträger, was eher zu spüren als zu hören war. Hin und her taumelnd breitete sie die Arme aus und umfasste den ganzen Raum. Sie konnte nicht weinen.
    Das große Fenster zerbrach nach außen, und eine Million Bruchstücke regneten klirrend in die Nacht hinab. Die Luft füllte sich mit Glassporen und dem Klang von Windharfen.
    Auf dem Teppich lag kein Glas.
    Verdammt, dachte sie beiläufig, die Baufirma hat versagt. Da haben wir so viel Geld für implodierendes, erdbebensicheres Glas ausgegeben, und die unfähigen Mistkerle haben es falsch herum eingebaut …
    Im Südwesten ging eine kleine orangefarbene Sonne auf. Patricia Rowan sank auf dem sauberen Teppich auf die Knie. Nun brannten ihr schließlich doch die Augen. Unendlich dankbar, ließ sie den Tränen ihren Lauf: Ich bin immer noch menschlich, sagte sie sich. Immer noch menschlich .
    Der Wind brauste über sie hinweg. Er trug die schwachen Geräusche von schreienden Menschen und Maschinen mit sich.

Detritus
    Der Ozean ist grün. Lenie Clarke weiß nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen ist, doch sie können kaum mehr als hundert Meter gesunken sein. Schließlich ist der Ozean noch grün.
    Mit der Nase voran trudelt die Forcipiger langsam durch das Wasser abwärts, während aus einem Dutzend kleiner Wunden die Atmosphäre entweicht. Ein verästelter Riss durchzieht die vordere Sichtluke; Clarke kann ihn unter dem Wasser, das in das Cockpit strömt, kaum sehen. Der Bug des Tauchbootes hat sich in den Grund eines Brunnens verwandelt. Clarke stützt sich mit den Füßen an der Rückenlehne eines Passagiersitzes ab und lehnt sich gegen das nunmehr senkrechte Deck. Die Lichtleiste an der Decke flackert direkt vor ihren Augen. Sie hat den Piloten aus dem Wasser hochgeholt und ihn in einem der Sitze festgeschnallt. Mindestens eines seiner Beine ist gebrochen. Wie eine durchnässte Marionette hängt er bewusstlos in den Gurten, wenngleich er immer noch atmet. Sie weiß nicht, ob er noch einmal aufwachen wird.
    Vielleicht ist es besser so, denkt sie und kichert.
    Das war überhaupt nicht lustig, sagt sie sich und kichert noch einmal.
    Verdammt. Ich drehe durch.
    Sie versucht sich zu konzentrieren. Sie kann ihre Aufmerksamkeit nur auf einzelne Dinge richten: eine Niete direkt vor ihr. Das Geräusch von quietschendem Metall. Diese Dinge scheinen ihr gesamtes Denken einzunehmen. Was immer sie gerade zufällig betrachtet, wächst zu gewaltiger Größe an und füllt ihre ganze Welt aus. Sie kann kaum noch an etwas anderes denken.
    Hundert Meter, überlegt sie schließlich mit Mühe. Ein Riss in der Hülle. Der Druck … steigt an …
    Stickstoff …
    … narkose …
    Sie beugt sich vor, um die Atmosphärenanzeige an der Wand zu überprüfen. Sie muss den Kopf schieflegen, um sie ablesen zu können.
    Aus irgendeinem Grund findet sie das komisch, auch wenn sie nicht genau weiß, warum. Doch die Anzeige scheint ohnehin nicht mehr zu funktionieren.
    Sie beugt sich über eine Zugangsklappe, rutscht ab, fällt mit einem Platschen ins Wasser und prallt schmerzhaft gegen das Cockpit. Auf den Konsolen blinken hin und wieder einige Anzeigen auf. Sie sind hübsch, doch je länger sie sie betrachtet, desto stärker werden die Schmerzen in ihrem Brustkorb. Schließlich begreift sie den Zusammenhang und taucht wieder auf, um Luft zu holen.
    Die Zugangsklappe ist direkt vor ihr. Sie fummelt daran herum, bis es ihr gelingt, sie zu öffnen. Die Hydrox-Tanks sind aufgereiht wie bei einer Parade und in einer Art Überlaufsystem miteinander verbunden. An einem Ende befindet sich ein großer gelber Hebel. Sie zieht daran, und er gibt unerwartet nach. Clarke verliert das Gleichgewicht und rutscht wieder unter Wasser.
    Direkt vor ihrem Gesicht befindet sich ein Lüftungsrohr. Sie ist sich nicht ganz sicher, doch sie glaubt, dass beim letzten Mal, als sie hier unten war, noch keine Blasen daraus aufstiegen. Sie hält das für ein gutes Zeichen. Sie beschließt, noch eine Weile hier unten zu bleiben und die Blasen zu betrachten. Irgendetwas macht ihr allerdings Sorgen. Etwas in ihrem Brustkorb.
    Ach, richtig. Das hätte sie ja beinahe vergessen. Sie kann nicht atmen.
    Irgendwie gelingt es ihr, die Taucherhaut über ihrem Gesicht zu schließen. Das Letzte, an das sie sich erinnert, ist ihre Lunge, die zusammenschrumpft, und das Wasser, das durch ihre Brust strömt.

    Als sie das nächste Mal wieder zu sich kommt, stehen bereits zwei Drittel des Cockpits unter Wasser. Sie

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