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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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entspannt sich nicht. Sie steht immer noch leicht vorgebeugt in dieser seltsamen, locker sitzenden Kleidung da, die Landratten tragen, und blickt zur Decke hoch, als traute sie der Stille nicht. Dann richtet sie den Blick wieder auf Clarke.
    »Lenie, Sie wissen, dass ich nicht so gern die Chefin raushängen lasse, aber Ihr Verhalten bringt uns beide in Gefahr. Ich glaube, dieser Ort hier macht Sie ziemlich fertig. Ich hoffe wirklich, dass Sie bald wieder auf dem Damm sind. Andernfalls muss ich veranlassen, dass Sie versetzt werden.«
    Clarke sieht Ballard hinterher, während diese den Aufenthaltsraum verlässt. Sie lügen, denkt sie. Sie haben eine Scheißangst, und das nicht nur, weil ich mich verändere.
    Sondern weil mit Ihnen das Gleiche passiert.

    Fünf Stunden, nachdem es geschehen ist, findet Clarke heraus, dass sich der Meeresboden verändert hat.
    Wir schlafen, und die Erde bewegt sich, denkt sie und betrachtet die topografische Anzeige vor sich. Und beim nächsten oder übernächsten Mal zieht es uns womöglich einfach den Boden unter den Füßen weg.
    Ob ich wohl noch merken werde, wenn es geschieht?
    Als sie ein Geräusch hinter sich hört, dreht sie sich um. Ballard steht leicht schwankend im Aufenthaltsraum. Ihr Gesicht wirkt irgendwie entstellt durch die konzentrischen Ringe in ihren Augen und die dunklen Höhlen, in denen sie ruhen. Der Anblick von nackten menschlichen Augen kommt Clarke inzwischen merkwürdig vor.
    »Der Meeresboden hat sich verschoben«, sagt Clarke. »Etwa zweihundert Meter westlich von uns ist eine neue Gesteinsformation entstanden.«
    »Seltsam. Ich habe gar nichts gespürt.«
    »Es ist schon vor fünf Stunden passiert. Sie haben geschlafen.«
    Ballard wirft ihr einen argwöhnischen Blick zu. Clarke betrachtet ihre eingefallenen Wangen. Wenn man’s recht bedenkt …
    »Ich wäre davon aufgewacht«, sagt Ballard. Sie drängt sich an Clarke vorbei in die Kabine und wirft einen Blick auf die topografische Anzeige.
    »Zwei Meter hoch und zwölf lang«, betet Clarke herunter.
    Ballard antwortet nicht. Sie gibt Befehle in eine Tastatur ein; die topografischen Bilder lösen sich auf und verwandeln sich in eine Zahlenkolonne.
    »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagt sie. »Keine ernstzunehmende seismische Aktivität in den letzten zweiundvierzig Stunden.«
    »Die Echolotanzeige lügt nicht«, sagt Clarke ruhig.
    »Der Seismograf auch nicht«, erwidert Ballard.
    Kurze Zeit herrscht Schweigen. Für solche Dinge gibt es eine Standardprozedur, und sie wissen beide, wie die aussieht.
    »Wir müssen es uns anschauen«, sagt Clarke.
    Ballard nickt nur. »Ich gehe mich umziehen.«

    Der Tintenfisch: ein etwa ein Meter langer, von einer Düse angetriebener Zylinder mit einem Scheinwerfer an der Vorderseite und einer Stange an der Rückseite. Clarke schwebt zwischen der Station und dem Meeresboden und überprüft das Gerät mit einer Hand. In der anderen hält sie eine Echolotpistole. Sie richtet die Pistole auf die Dunkelheit; Ultraschallklicks tasten die Nacht um sie herum ab und erlauben es ihr, ihre Lage zu peilen.
    »Da lang«, sagt sie und zeigt in die Richtung.
    Ballard drückt auf die Stange ihres Tintenfischs, und die Maschine zieht sie mit sich fort. Clarke folgt ihr auf dem Fuß. Das Schlusslicht bildet ein dritter Tintenfisch, der in einem Nylonbeutel eine Reihe von Sensoren mit sich schleppt.
    Ballard rast beinahe mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Die Lampen an ihrem Helm und an dem Tintenfisch bohren sich in das Wasser wie der Doppelstrahl eines Leuchtturms. Clarke, die ihre Lampen ausgeschaltet hat, holt sie etwa auf halbem Weg zu ihrem Ziel ein. Eine Zeitlang schwimmen sie ein paar Meter über dem schlammigen Meeresboden nebeneinander her.
    »Ihre Lampen«, sagt Ballard.
    »Wir brauchen sie nicht. Das Echolot funktioniert auch im Dunkeln.«
    »Brechen Sie die Sicherheitsvorschriften inzwischen nur so zum Spaß?«
    »Die Fische hier unten, sie reagieren auf alles, was leuchtet …«
    »Schalten Sie Ihre Lampen ein! Das ist ein Befehl.«
    Clarke antwortet nicht. Sie betrachtet die beiden Lichtstrahlen neben sich; die Lampe an Ballards Tintenfisch, die ruhig und stetig leuchtet, und Ballards Stirnlampe, die schwankend durch das Wasser zuckt, wenn sie den Kopf bewegt …
    »Ich habe gesagt«, wiederholt Ballard, »schalten Sie Ihre … Verdammt! «
    Für eine Sekunde hat Ballards Stirnlampe etwas gestreift. Als sie den Kopf herumreißt, gleitet es außer Sichtweite. Dann ragt es im

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