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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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eigenen Herzschlag.
    Sie hat Angst und weiß nicht recht, warum. Sie wünscht sich, das Geräusch würde aufhören.
    Clarke rollt sich von ihrer Koje herunter und tastet nach der Kabinenluke. Der Korridor liegt im Halbdunkeln, nur vom Aufenthaltsraum an seinem Ende dringt schwaches Licht herüber. Das Geräusch kommt jedoch aus der anderen Richtung, aus der tiefer werdenden Dunkelheit. Sie folgt dem Schluchzen durch ein Gewirr aus Rohren und Leitungen.
    Ballards Quartier. Die Luke ist offen. Eine smaragdgrüne Anzeige strahlt in der Dunkelheit, zu schwach, um die zusammengesunkene Gestalt auf der Liege zu beleuchten.
    »Ballard«, sagt Clarke leise. Sie will die Kabine nicht betreten.
    Der Schatten bewegt sich und scheint zu ihr aufzublicken. »Warum zeigen Sie es nicht?«, sagt er mit flehender Stimme.
    Clarke runzelt in der Dunkelheit die Stirn. »Was denn?«
    »Sie wissen schon! Dass Sie … Angst haben!«
    »Wovor?«
    »Hier unten zu sein, am Grund dieses furchtbaren, dunklen Ozeans gefangen zu sein …«
    »Ich verstehe nicht«, flüstert Clarke. Das Gefühl der Enge erwacht erneut in ihr und lässt sie unruhig werden.
    Ballard schnaubt verächtlich, doch ihr Spott wirkt aufgesetzt. »Oh, Sie verstehen mich sehr gut. Sie halten das Ganze für eine Art Wettkampf. Sie glauben, wenn Sie Ihre Gefühle für sich behalten, haben Sie gewonnen … aber so ist es nicht, Lenie. Es hat keinen Sinn, alles in sich hineinzufressen. Hier unten müssen wir einander vertrauen können, oder wir sind verloren …«
    Sie verlagert das Gewicht auf der Koje. Verstärkt durch die Kappen können Clarkes Augen nun ein paar Einzelheiten erkennen: die ungefähren Umrisse von Ballards Körper, die Falten von Alltagskleidern, die bis zur Hüfte aufgeknöpft sind. Sie muss an einen halb sezierten Kadaver denken, der sich auf dem Operationstisch aufrichtet, um seine Verstümmelung zu beklagen.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagt Clarke.
    »Ich habe versucht, freundlich zu sein«, sagt Ballard. »Ich habe versucht, mit Ihnen auszukommen, aber Sie sind so kaltblütig. Sie würden nicht einmal zugeben … ich meine, Ihnen kann es hier unten doch unmöglich gefallen … Niemandem würde es hier gefallen. Warum können Sie es nicht einfach zugeben …«
    »Aber so ist es nicht. Ich … ich bin nicht gern hier drinnen. Ich habe das Gefühl, als würde sich Beebe … um mich herum zusammenziehen. Und ich kann nur darauf warten, dass es geschieht.«
    Ballard nickt in der Dunkelheit. »Ja, ja, ich weiß, was Sie meinen.« Irgendwie scheint sie Clarkes Geständnis aufzumuntern. »Egal, wie oft man sich sagt …« Sie hält inne. »Moment mal, haben Sie gesagt, Sie sind nicht gern hier drinnen ?«
    Habe ich etwas Falsches gesagt?, fragt sich Clarke.
    »Draußen ist es kaum besser, wissen Sie«, sagt Ballard. »Draußen ist es sogar noch schlimmer! Da sind die Schlammlawinen und die Raucher und riesige Fische, die ständig versuchen, einen zu fressen. Sie können doch unmöglich … aber … Ihnen macht das nichts aus, nicht wahr?«
    Irgendwie klingt ihr Tonfall jetzt anklagend. Clarke zuckt die Achseln.
    »Nein, es macht Ihnen nichts aus«, wiederholt Ballard langsam. Ihre Stimme senkt sich zu einem Flüstern: »Ihnen gefällt es da draußen sogar, oder?«
    Clarke nickt widerstrebend. »Ja, irgendwie schon.«
    »Aber das ist doch … Die Riftzone kann Sie umbringen, Lenie. Sie kann uns umbringen. Auf hundert verschiedene Weisen. Macht Ihnen das denn keine Angst?«
    »Ich weiß nicht. Ich denke nicht so oft darüber nach. Wahrscheinlich schon.«
    »Warum sind Sie da draußen dann so glücklich?«, schreit Ballard. »Das ergibt doch keinen Sinn …«
    Ich bin nicht wirklich »glücklich«, denkt Clarke. »Ich weiß nicht. So ungewöhnlich ist das gar nicht. Viele Menschen machen gefährliche Dinge. Denken Sie an Fallschirmspringer oder Bergsteiger.«
    Doch Ballard antwortet nicht. Ihre Silhouette auf dem Bett ist erstarrt. Plötzlich streckt sie die Hand aus und schaltet das Kabinenlicht ein.
    Angesichts der plötzlichen Helligkeit muss Lenie Clarke blinzeln. Als ihre Augenkappen sich abgedunkelt haben, lässt das Gleißen schließlich nach.
    »Verdammt noch mal!«, schreit Ballard sie an. »Schlafen Sie inzwischen etwa schon in diesem verfluchten Kostüm?«
    Noch etwas, worüber Clarke nur selten nachdenkt. Es ist irgendwie einfacher so.
    »Da schütte ich Ihnen hier mein Herz aus, und Sie tragen die ganze Zeit dieses Maschinengesicht ! Sie haben

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