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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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so tief.«
    Clarke hört ohne großes Interesse zu.
    »Er muss weiter oben gestorben und verfault sein und ist dann nach unten gesunken.« Ballard hat die Stimme leicht erhoben. Beinahe verstohlen blickt sie zu etwas am anderen Ende des Aufenthaltsraums hinüber. »Ich frage mich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass so etwas passiert.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Der Ozean ist riesig, und trotzdem kommt etwas so Großes nur ein paar hundert Meter von uns entfernt vom Himmel runter. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sicher ziemlich gering.«
    »Ja. Schon möglich.« Clarke streckt die Hand aus und fährt die Helligkeit der Anzeige hoch. Die eine Hälfte des Bildschirms ist mit sanft leuchtendem Text gefüllt. Auf der anderen dreht sich die Abbildung eines komplexen Moleküls.
    »Was ist das?«, fragt Clarke.
    Ballard blickt erneut zur gegenüberliegenden Seite des Aufenthaltsraums hinüber. »Nur ein alter Text über Biopsychologie, den ich in der Bibliothek gefunden habe. Ich habe ihn kurz überflogen. Das Thema ist einmal ein Steckenpferd von mir gewesen.«
    Clarke blickt sie an. »Hm-mh.« Sie beugt sich vor und betrachtet die Anzeige. Es geht um irgendwelche chemischen Reaktionen. Das Einzige, was sie versteht, ist die Unterschrift unter der Grafik.
    Sie liest sie laut vor: »Wahres Glück.«
    »Ja. Ein trizyklisches Molekül mit vier Seitenketten.« Ballard deutet auf den Schirm. »Wann immer Sie glücklich sind, haben Sie es diesem Zeug zu verdanken.«
    »Wann wurde das entdeckt?«
    »Ich weiß nicht. Es ist ein altes Buch.«
    Clarke betrachtet die sich drehende Abbildung. Irgendetwas daran beunruhigt sie. Die Grafik schwebt über dieser selbstgefälligen, albernen Bildunterschrift und behauptet etwas, das sie nicht hören will.
    Du wurdest entschlüsselt, steht dort. Du bist nur eine Maschine —chemische Verbindungen und Elektrizität. Alles, was du bist, jeder Traum, jede deiner Handlungen. All das lässt sich auf elektrische Entladungen irgendwo in deinem Körper zurückführen oder auf ein – wie hatte sie es genannt? – trizyklisches Molekül mit vier Seitenketten …
    »Das ist falsch«, murmelt Clarke. Sonst müssten sie uns doch reparieren können, wenn wir kaputt gehen …
    »Wie bitte?«, fragt Ballard.
    »Hier wird behauptet, wir seien nur so etwas wie … lebende Computer. Mit Gesichtern.«
    Ballard schaltet das Terminal aus.
    »Richtig«, sagt sie. »Und manche von uns verlieren sogar noch das.«
    Clarke nimmt den Seitenhieb zur Kenntnis, doch er tut ihr nicht weh. Sie richtet sich auf und geht zur Leiter hinüber.
    »Was haben Sie vor? Wollen Sie etwa wieder hinausgehen?«, fragt Ballard.
    »Die Schicht ist noch nicht vorbei. Ich dachte, ich reinige mal das verstopfte Rohr an Generator Nummer zwei.«
    »Es ist ein wenig spät, um noch damit anzufangen, Lenie. Die Schicht wird vorbei sein, ehe wir halb fertig sind.« Ballards Augen zucken wieder von Clarke weg. Diesmal folgt Clarke ihrem Blick zu dem Spiegel, der die gesamte gegenüberliegende Wand des Aufenthaltsraums einnimmt.
    Sie kann dort nichts Besonderes erkennen.
    »Dann mache ich eben Überstunden.« Clarke streckt die Hand nach dem Geländer aus und setzt den Fuß auf die oberste Sprosse.
    »Lenie«, sagt Ballard, und Clarke könnte schwören, dass ihre Stimme leicht zitterte. Sie blickt zu ihr hinüber, doch Ballard hat sich abgewendet und geht in die Kommunikationszentrale. »Tja, ich fürchte, ich kann Sie nicht begleiten«, sagt sie. »Ich bin gerade dabei, die Fehler in einem der Fernmessprogramme zu beseitigen.«
    »Gut«, sagt Clarke. Sie spürt, wie die Anspannung in ihr wächst. Beebe scheint sich wieder um sie herum zusammenzuziehen. Sie steigt die Leiter hinunter.
    »Sind Sie sicher, dass Sie allein rausgehen wollen? Vielleicht sollten Sie lieber bis morgen warten?«
    »Nein. Es geht schon.«
    »Also, denken Sie daran, Ihren Empfänger eingeschaltet zu lassen. Ich will nicht, dass Sie wieder … verschwinden.«
    Clarke ist im Schleusenraum angekommen. Sie steigt in die Luftschleuse und durchläuft das übliche Ritual. Inzwischen hat sie nicht mehr das Gefühl, als würde sie ertrinken. Sie fühlt sich, als würde sie neu geboren werden.

    Sie erwacht in der Dunkelheit und hört jemanden weinen.
    Eine Zeitlang liegt sie nur verwirrt und unsicher da. Die Schluchzer scheinen aus allen Richtungen zu kommen, leise, doch allgegenwärtig. Sie werden von Beebes Hülle übertragen. Sonst hört sie nichts, außer ihrem

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