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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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zurückkehren, solange Brander sich dort aufhält. Als er es das letzte Mal versucht hat, stand Brander im Aufenthaltsraum Wache und hat auf ihn gewartet.
    Ach, was soll’s. Das ist wie Krill. Manche Leute essen so etwas ständig.
    Die Garnelen schmecken seltsam. Fischers Mund ist von der Kälte ganz taub, aber er kann trotzdem einen leichten Geschmack von verfaulten Eiern ausmachen, stark verwässert und kaum wahrnehmbar. Sonst jedoch nicht übel. Auf jeden Fall besser als Brander.
    Als fünfzehn Minuten später die Krämpfe einsetzen, ist er sich nicht mehr so sicher.

    »Sie sehen furchtbar aus«, sagt Lenie.
    Fischer hält sich am Geländer fest und blickt sich im Aufenthaltsraum um. »Wo ist …«
    »Am Schlund. Auf Schicht mit Lubin und Caraco.«
    Er schafft es bis zum Sofa.
    »Ich habe Sie schon eine Weile lang nicht mehr gesehen«, stellt Lenie fest. »Wie geht es Ihrem Gesicht?«
    Fischer mustert sie durch einen Schleier aus Übelkeit. Lenie Clarke betreibt tatsächlich Small Talk. Das hat sie noch nie getan. Er versucht immer noch den Grund dafür herauszufinden, als sich sein Magen erneut verkrampft und er sich auf den Fußboden übergibt. Inzwischen kommen höchstens noch ein paar Tropfen saurer Flüssigkeit hoch.
    Seine Augen folgen dem Gewirr der Rohre an der Decke. Nach einer Weile versperrt ihm Lenies Gesicht den Blick, das aus großer Höhe auf ihn herabschaut.
    »Was ist mit Ihnen?« Sie scheint aus reiner Neugier zu fragen.
    »Ich habe ein paar Garnelen gegessen«, sagt er und würgt noch einmal.
    »Sie haben … draußen gegessen?« Sie beugt sich vor und zieht ihn hoch. Seine Arme schleifen über das Deck. Etwas Hartes kracht ihm gegen den Kopf; das Geländer an der Leiter, die nach unten führt.
    »Mist«, sagt Lenie.
    Er liegt wieder allein am Boden. Schritte entfernen sich. Schwindel setzt ein. Etwas drückt gegen seinen Hals und sticht ihn mit einem leisen Zischen.
    Beinahe im selben Moment wird sein Kopf wieder klar.
    Lenie beugt sich über ihn – näher, als sie ihm jemals zuvor gewesen ist. Sie berührt ihn sogar, eine Hand hat sie ihm auf die Schulter gelegt. Er betrachtet diese Hand seltsam verwundert, doch dann zieht sie sie weg.
    Sie hält eine Spritze in der Hand. Fischers Magen fühlt sich wieder besser an.
    »Warum haben Sie so etwas Blödes getan?«, sagt sie leise.
    »Ich hatte Hunger.«
    »Was ist gegen den Küchenautomaten einzuwenden?«
    Er antwortet nicht.
    »Ach«, sagt Lenie. »Richtig.«
    Sie steht auf und nimmt die verbrauchte Patrone aus der Spritze. »So kann es nicht weitergehen, Fischer. Das wissen Sie.«
    »Seit zwei Wochen hat er mich nicht mehr angerührt.«
    »Er hat Sie zwei Wochen lang nicht zu Gesicht bekommen. Sie kommen nur herein, wenn er gerade auf Schicht ist. Und Sie versäumen immer mehr von Ihren eigenen Schichten. Damit machen Sie sich unter den restlichen Besatzungsmitgliedern nicht unbedingt Freunde.« Sie legt den Kopf schief, als Beebe um sie herum knarrt. »Warum rufen Sie nicht einfach bei der Chefetage an und lassen sich von ihnen nach Hause holen?«
    Weil ich kleinen Kindern schlimme Dinge antue, und wenn ich zurückgehe, werden sie mich aufschneiden und mich in etwas anderes verwandeln …
    Weil es dort draußen Dinge gibt, die es fast lohnenswert machen …
    Weil Sie hier sind …
    Er weiß nicht, ob sie irgendeinen dieser Gründe verstehen würde. Er beschließt, es nicht darauf ankommen zu lassen.
    »Vielleicht könnten Sie mit ihm reden«, bringt er heraus.
    Lenie seufzt. »Er würde mir nicht zuhören.«
    »Wenn Sie es nur versuchen würden, dann …«
    Ihr Gesicht erstarrt. »Ich habe es schon versucht. Ich …«
    Sie fängt sich wieder.
    »Ich kann mich da nicht einmischen«, flüstert sie. »Das geht mich nichts an.«
    Fischer schließt die Augen. Er hat das Gefühl, gleich losheulen zu müssen. »Er lässt einfach nicht locker. Er hasst mich.«
    »Es liegt nicht an Ihnen. Sie sind nur ein … Ersatz.«
    »Warum haben die uns zusammengesteckt? Das ergibt keinen Sinn!«
    »Statistisch gesehen schon.«
    Fischer öffnet die Augen. »Was?«
    Lenie fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Sie wirkt äußerst erschöpft.
    »Hier unten sind wir keine Menschen, Fischer. Wir sind nur Wolken aus Datenpunkten. Es spielt keine Rolle, was mit Ihnen geschieht oder mit Brander oder mir, solange der Durchschnittswert gleich bleibt und die Standardabweichung nicht zu groß ist.«
    Sag es ihr, drängt Schatten.
    »Lenie …«
    »Na, jedenfalls.«

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