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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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über die geschwollenen Wangen. Besser.
    »Ich nehme an, Sie wollen nicht wieder an die Oberfläche kommen?«, fragt Dr. Troyka Hunderte von Kilometern entfernt. »Wissen Sie, die Verletzungen sind schlimm genug, um einen Rückruf zu rechtfertigen.«
    Fischer schüttelt den Kopf. »Schon gut. Ich kann hierbleiben.«
    »Hm-hm.« Die Gottesanbeterin klingt nicht überrascht. »Das habe ich in letzter Zeit schon öfter gehört. Also gut, ich werde Ihr Jochbein mit Draht wieder zusammenfügen und Ihnen eine kleine Batterie unter die Haut einsetzen. Direkt unter Ihrem rechten Auge. Sie wird Ihr Knochengewebe stimulieren, um den Heilungsprozess zu beschleunigen. Sie ist nur wenige Millimeter groß und fühlt sich wie ein kleiner, harter Pickel an. Möglicherweise juckt sie ein bisschen, aber versuchen Sie, nicht daran herumzukratzen. Wenn alles verheilt ist, können Sie sie einfach wie einen Mitesser ausdrücken. Alles klar?«
    »Ja.«
    »Also gut, Gerry. Ich werde das Feld jetzt wieder einschalten und mich an die Arbeit machen.« Die Gottesanbeterin surrt erwartungsvoll.
    Fischer hebt die Hand. »Warten Sie.«
    »Was ist, Gerry?«
    »Wie … wie spät ist es bei Ihnen dort oben?«, fragt er.
    »Es ist fünf Uhr zehn. Über dem Pazifik bricht der Tag an. Warum?«
    »Es ist früh.«
    »Ja, das ist es.«
    »Ich habe Sie wohl geweckt«, sagt Fischer. »Tut mir leid.«
    »Unsinn.« Am Ende des mechanischen Arms wackeln zerstreut einige Glieder. »Ich bin schon seit Stunden wach. Friedhofsschicht.«
    »Friedhof?«
    »Wir sind rund um die Uhr im Einsatz, Gerry. Dort draußen gibt es eine Menge Geothermalstationen. Sie … Sie halten uns ordentlich auf Trab.«
    »Oh«, sagt Fischer. »Tut mir leid.«
    »Vergessen Sie’s. Das ist schließlich mein Job.« Irgendwo in seinem Hinterkopf ertönt ein Summen; einen Moment lang spürt Fischer, wie seine Gesichtsmuskeln erschlaffen. Dann wird alles taub, und wie ein Raubtier stürzt sich die Gottesanbeterin auf ihn.

    Er weiß, dass es besser ist, seine Taucherhaut draußen nicht zu öffnen.
    Natürlich stirbt man nicht gleich davon. Doch das Meerwasser ist deutlich salziger als Blut; wenn man es hereinlässt, wird durch die Osmose das Wasser aus den Epithelzellen gesaugt, und diese schrumpfen zu kleinen Klumpen zusammen. Die Nieren der Rifter sind darauf eingestellt, die Wassergewinnung zu beschleunigen, wenn das geschieht, doch das ist keine Dauerlösung und fordert seinen Preis. Die Organe verschleißen schneller, und der Urin wird zähflüssig wie Öl. Es ist besser, die Taucherhaut geschlossen zu halten. Wenn die Eingeweide zu lange dem Salzwasser ausgesetzt sind, fangen sie praktisch an sich zu zersetzen, ob nun mit oder ohne Implantate.
    Doch das ist ein weiteres von Fischers Problemen. Er denkt nie langfristig.
    Sein Gesicht wird von einem einzigen, fünfzig Zentimeter langen Makromolekül eingehüllt. Es verläuft im Zickzack über seinen Kiefer wie die Hälften eines Reißverschlusses, dessen Zähne aus wasserabweisenden Seitenketten bestehen. Mithilfe einer kleinen Klinge am Zeigefinger seines linken Handschuhs kann er es öffnen. Er führt die Klinge über das Molekül, und die Taucherhaut öffnet sich und gibt seinen Mund frei.
    Anfangs spürt er nicht viel. Er hat fast erwartet, dass ihm der Ozean die Nase hochschießt und in den Nebenhöhlen brennt, doch die Hohlräume in seinem Körper sind bereits mit isotonischer Salzlösung gefüllt. Er spürt lediglich, dass sein Gesicht kalt wird und der chronische Schmerz von zerrissener Haut ein wenig nachlässt. Unter seinem einen Auge pocht ein tieferer Schmerz, an der Stelle, wo Dr. Troykas Drähte seine Gesichtsknochen zusammenhalten. Mikroelektrizität prickelt daran entlang und zwingt die knochenbildenden Osteoblasten dazu, einen Gang höher zu schalten.
    Nach einer Weile versucht er zu gurgeln. Als das nicht funktioniert, reißt er schließlich den Mund auf wie ein Fisch und wackelt mit der Zunge herum. Das zeigt Wirkung. Zum ersten Mal schmeckt er den reinen Ozean, wilder und salziger als das Zeug, mit dem seine Eingeweide gefüllt sind.
    Auf dem Meeresboden vor ihm weidet gerade ein Schwarm blinder Garnelen in der Strömung an einer nahe gelegenen Quelle. Fischer kann direkt durch sie hindurchblicken. Sie sehen aus wie kleine Glasstückchen, in deren Innerem Organklumpen zucken.
    Es muss schon gut vierzehn Stunden her sein, seit er das letzte Mal etwas gegessen hat, aber er wird auf keinen Fall in die Station

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