Abgrund: Roman (German Edition)
keine Mühe«, sagt Brander.
»Hören Sie, diese Station ist auch so schon klein genug. Wir sollten zumindest versuchen, miteinander auszukommen, wissen Sie? Ich meine, Sie haben mich angegriffen. Das ist verboten.«
»Dann verhaften Sie mich doch.«
»Vielleicht sind Sie ja gar nicht auf mich wütend.« Fischer hält einen Moment lang überrascht inne. Womöglich stimmt das tatsächlich . »Vielleicht haben Sie mich mit jemandem verwechselt …«
Brander steht auf.
Fischer spricht schnell weiter: »Womöglich hat Ihnen irgendwann einmal jemand etwas angetan und …«
Brander geht sehr langsam um den Tisch herum.
»Ich habe Sie nicht mit jemandem verwechselt. Ich weiß genau, was Sie sind.«
»Nein, das wissen Sie nicht. Wir sind uns vor ein paar Wochen zum ersten Mal begegnet!« Natürlich, das ist es. Nicht ich bin es gewesen, sondern jemand anderes! »Was immer Sie erlebt haben …«
»Geht Sie, verdammt noch mal, nichts an, und wenn Sie noch ein Wort sagen, werde ich Sie, verflucht noch mal, umbringen!«
Lass uns einfach gehen, bittet Schatten. Lass uns verschwinden. Dadurch wird alles nur noch schlimmer.
Doch Fischer ergreift nicht die Flucht. Plötzlich erscheint ihm alles vollkommen klar. »Ich bin es nicht gewesen«, sagt er ruhig. »Was mit Ihnen geschehen ist … tut mir leid. Aber ich bin es nicht gewesen, und das wissen Sie.«
Einen Moment lang glaubt er, tatsächlich zu Brander durchdringen zu können. Branders Gesicht entspannt sich ein wenig, die Falten auf der Stirn und um die ausdruckslosen weißen Augen herum glätten sich, und Fischer kann beinahe erahnen, wie dieses Gesicht aussehen würde, wenn es nicht von Wut verzerrt ist.
Doch dann nimmt er eine Bewegung wahr. Es ist sein eigener Arm. Schatten, nein, du verdirbst alles . Doch Schatten hört nicht auf ihn, sie summt nur leise: Mach ihn nicht wütend, mach ihn nicht wütend, mach ihn nicht wütend …
So macht man das.
Das Knurren beginnt tief in Branders Kehle und steigt dann auf wie eine ferne Welle, die sich immer höher und höher über dem Meer auftürmt, während sie der Küste entgegeneilt.
» … fassen Sie mich, verdammt noch mal, NICHT AN!«
Um ihn herum wird es nicht schnell genug schwarz.
Zuerst spürt er nur ein Stechen. Dann bricht die Kruste aus geronnenem Blut um sein Augenlid auf, und er sieht eine verschwommene Linie aus rotem Licht. Er versucht, die Hand ans Gesicht zu führen, doch es tut zu sehr weh.
Etwas Kaltes und Feuchtes, Beruhigendes. Weitere Blutklümpchen bröckeln ab.
»Nnnnn…«
Jemand tupft an seinen Augen herum. Er versucht sich zu wehren, doch er kann nur schwach den Kopf hin und her drehen, was ihm noch mehr Schmerzen bereitet.
»Bewegen Sie sich nicht.«
Lenies Stimme.
»Ihre rechte Augenkappe ist beschädigt. Sie könnte Ihre Hornhaut durchbohren.«
Er liegt ganz still. Lenies Finger schieben sich zwischen Augenlider, die sich so aufgebläht anfühlen wie Kissen. Plötzlich wird Druck auf seinen Augapfel ausgeübt, ein sogartiges Ziehen. Ein Schmatzen ist zu hören, und er hat das Gefühl, als würde etwas Scharfkantiges über seine Pupille gezogen.
Um ihn herum wird es dunkel. »Warten Sie«, sagt Lenie, »ich drehe das Licht hoch.«
Alles hat immer noch einen leicht rötlichen Farbstich, aber immerhin kann er wieder etwas sehen.
Er befindet sich in seiner Kabine. Lenie Clarke beugt sich über ihn, in der Hand ein feucht glänzendes Stück Membran.
»Sie haben Glück gehabt. Er hätte Ihnen das Brustbein zertrümmert, wenn sich Ihre Implantate nicht darunter befunden hätten.« Sie legt die kaputte Augenkappe außer Sichtweite ab und greift nach einer Kartusche Flüssighaut. »So hat er Ihnen nur ein paar Rippen gebrochen. Sie haben eine Menge Blutergüsse. Möglicherweise eine leichte Gehirnerschütterung, aber Sie müssten in die Krankenstation gehen, um das mit Sicherheit feststellen zu können. Oh, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er Ihnen auch das Jochbein gebrochen hat.«
Es hört sich an, als würde sie eine Einkaufsliste vorlesen.
»Warum bin ich …« Warmes Salz strömt ihm in den Mund. Seine Zunge tastet vorsichtig umher, zumindest seine Zähne sind noch unversehrt. » … nicht in der Krankenstation?«
»Es wäre schwierig gewesen, Sie die Leiter hinunterzutragen. Brander hätte mir nicht geholfen. Und die anderen sind alle draußen.« Sie sprüht ihm Schaum auf den Bizeps. Er zieht Fischers Haut zusammen, während er trocknet.
»Nicht, dass Sie mir eine
Weitere Kostenlose Bücher