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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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können.
    Er braucht mehr Platz, denkt sie, lächelt in sich hinein und öffnet die Außenluke. Sie stürzen in die Tiefe hinab.
    Clarke gleitet nach unten und schwimmt unter Beebes bedrückender Masse hervor. Sie lässt den Kreis der Scheinwerfer hinter sich und schießt mit ausgeschalteter Stirnlampe in die willkommene Dunkelheit hinaus. Sie spürt die Gegenwart des Meeresbodens wenige Meter unter sich. Sie ist wieder frei.
    Nach einer Weile erinnert sie sich an Acton. Sie dreht sich in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Beebes Scheinwerfer sind Flecken schmutzigen Lichts in der Dunkelheit; die Station selbst, aufgebläht und kantig, zerrt an den Kabeln, mit denen sie vertäut ist. Licht strömt wie die schwachen Abgase einer Rakete aus ihrer Unterseite hervor. Inmitten des Lichtkegels liegt Acton mit dem Gesicht nach unten auf dem Meeresboden und rührt sich nicht.
    Zögernd schwimmt Clarke näher heran. »Acton?«
    Er reagiert nicht.
    »Acton?« Sie ist jetzt wieder im Licht angekommen. Ihr Schatten schneidet Actons Körper in zwei Hälften.
    Schließlich blickt er zu ihr hoch. »Es isssst…«
    Der Klang seiner umgewandelten Stimme scheint ihn zu überraschen.
    Er legt sich die Hand an die Kehle. »Ich … atme nicht …«, ertönt seine surrende Stimme.
    Clarke antwortet nicht.
    Er blickt wieder nach unten. Da ist etwas auf dem Meeresboden, nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Clarke schwebt näher an ihn heran; ein winziges garnelenähnliches Geschöpf liegt zitternd auf dem Substrat.
    »Was ist das?«, fragt Acton.
    »Etwas von der Oberfläche. Es muss mit dem U-Boot heruntergekommen sein.«
    »Aber es … tanzt …«
    Sie sieht genauer hin. Die Beine mit den vielen Gelenken beugen und strecken sich, der Panzer krümmt sich, einem verrückten inneren Rhythmus folgend. Das Lebewesen wirkt so zerbrechlich; der nächste Krampf oder auch der übernächste könnte ihm den Garaus machen.
    »Es hat einen Anfall erlitten«, sagt Clarke nach einer Weile. »Es gehört nicht hierher. Aufgrund des hohen Drucks feuern seine Nerven zu schnell oder etwas in der Art.«
    »Warum passiert das mit uns nicht?«
    Vielleicht tut es das ja . »Unsere Implantate. Sie pumpen uns mit Neuroinhibitoren voll, wann immer wir hinausgehen.«
    »Ach ja, richtig«, erklingt Actons leise surrende Stimme. Vorsichtig streckt er die Hand nach dem Geschöpf aus, legt es sich auf die Handfläche.
    Und zerquetscht es.
    Clarke versetzt ihm von hinten einen Schlag. Acton prallt vom Meeresboden ab, seine Hand öffnet sich, und die Überreste des Panzers und wässrigen Fleischs wirbeln davon. Er tritt Wasser, richtet sich wieder auf und starrt Clarke an, ohne etwas zu sagen. Im Licht leuchten seine Augenkappen beinahe gelb.
    »Sie Arschloch«, sagt Clarke sehr ruhig.
    »Es hat nicht hierher gehört«, erwidert Acton mit surrender Stimme.
    »Wir gehören auch nicht hierher.«
    »Es hat gelitten. Das haben Sie selbst gesagt.«
    »Ich habe gesagt, seine Nerven feuern zu schnell, Acton. Nervenverbindungen übertragen nicht nur Schmerz, sondern auch Vergnügen. Woher wollen Sie wissen, dass es nicht aus purer Freude getanzt hat?«
    Sie stößt sich vom Meeresboden ab und schwimmt wütend davon. Sie will Acton packen, ihm die Eingeweide herausreißen und das blutige Gewirr aus Organen und Maschinen den Ungeheuern der Riftzone als Opfer darbringen. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so wütend gewesen ist. Sie versucht sich einzureden, dass sie den Grund dafür nicht kennt.

    Von unten dringt ein Gluckern und Klirren herauf. Clarke blickt durch die Luke des Aufenthaltsraums nach unten und sieht, wie sich die Luftschleuse öffnet. Brander kommt herein und stützt dabei Acton.
    Die Haut an Actons Oberschenkel liegt frei.
    Er beugt sich vor und zieht die Schwimmflossen aus. Brander hat seine bereits abgelegt. Er wendet sich an Clarke, als sie die Leiter heruntergestiegen kommt. »Er ist seinem ersten Ungeheuer begegnet. Einem Sackmäuler.«
    »Ein Scheißungeheuer, ja, tatsächlich«, sagt Acton mit leiser Stimme. Und Clarke sieht es den Bruchteil einer Sekunde vorher kommen …
    … bevor Acton sich auf Brander stürzt. Seine linke Faust schwingt wie ein Bolo am Ende seines Arms nach vorn. Einmal, zweimal, dreimal, bis Brander blutend am Boden liegt. Als Acton den Fuß hebt, stellt sich Clarke vor ihn, die Arme schützend hochgerissen, und ruft: »Hören Sie auf, hören Sie auf, es ist nicht seine Schuld!« Doch irgendwie

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