Abgrund: Roman (German Edition)
ist es nicht Acton, mit dem sie spricht, sondern etwas in seinem Innern, das sich gerade gezeigt hat. Und sie würde alles tun, wenn es nur, bitte lieber Gott, wieder verschwindet …
Es blickt durch Actons milchige Augen und knurrt: »Der Arsch hat es kommen sehen! Er hat zugeschaut, wie das Ding mir das Bein aufgerissen hat!«
Clarke schüttelt den Kopf. »Vielleicht auch nicht. Sie wissen doch, wie dunkel es dort draußen ist. Ich bin schon länger hier unten als Sie alle, und trotzdem schaffen die Viecher es immer wieder, sich an mich heranzuschleichen, Acton. Warum sollte Brander Sie verletzen wollen?«
Sie hört, wie Brander hinter ihr wieder auf die Beine kommt. Seine Stimme tönt über ihre Schulter hinweg: »Jetzt auf jeden Fall …«
Sie schneidet ihm das Wort ab. »Hören Sie, ich kümmere mich darum.« Ihre Worte sind für Brander bestimmt, doch ihre Augen bleiben weiterhin auf Acton gerichtet. »Vielleicht sollten Sie in die Krankenstation gehen und sich vergewissern, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist.«
Acton beugt sich vor, sein Körper ist angespannt. Das Ding in seinem Innern sieht abwartend zu.
»Dieses Arschloch …«, setzt Brander an.
»Bitte, Mike.« Es ist das erste Mal, dass sie ihn bei seinem Vornamen nennt.
Einen Moment lang herrscht Schweigen.
»Seit wann mischen Sie sich eigentlich in anderer Leute Angelegenheiten ein?«, fragt Brander hinter ihr.
Gute Frage. Bevor ihr eine Antwort darauf einfällt, hört sie, wie seine Schritte sich entfernen.
Etwas in Actons Innerem versinkt wieder in Schlaf.
»Sie sollten besser ebenfalls in die Krankenstation gehen«, sagt Clarke zu ihm. »Später.«
»Nein. So schlimm ist es gar nicht gewesen. Ich war überrascht, wie schwächlich das verdammte Vieh war, nachdem ich erst einmal über seine enorme Größe hinweggekommen war.«
»Es hat Ihre Taucherhaut zerrissen. Wenn es dazu in der Lage war, dann war es nicht so schwach, wie Sie glauben. Lassen Sie sich zumindest untersuchen; womöglich ist Ihr Bein verletzt.«
»Wie Sie meinen. Aber ich möchte wetten, Brander braucht die Krankenstation gerade dringender als ich.« Er schenkt ihr ein raubtierhaftes Grinsen und will sich an ihr vorbeidrängen.
»Sie sollten sich etwas mehr am Riemen reißen«, sagt sie, als er an ihr vorbeigeht.
Acton bleibt stehen. »Ja. Ich bin ein bisschen unsanft mit ihm umgesprungen, was?«
»Wenn Sie das nächste Mal in einem Raucher stecken bleiben, hat er es womöglich nicht mehr so eilig, Ihnen zu helfen.«
»Ja«, sagt er noch einmal. Und dann: »Ich weiß nicht, ich war schon immer ein wenig … naja, Sie wissen schon …«
Sie erinnert sich an ein Wort, das jemand anderes einmal zu seiner Entschuldigung vorgebracht hat: »Impulsiv?«
»Ja. Aber eigentlich bin ich kein schlechter Kerl. Sie müssen mich nur erst besser kennenlernen.«
Clarke antwortet nicht.
»Jedenfalls«, sagt er, »schulde ich Ihrem Freund wohl eine Entschuldigung.«
Meinem Freund . Als sie endlich über diese seltsame Vorstellung hinweggekommen ist, ist sie wieder allein.
Fünf Stunden später ist Acton in der Krankenstation. Clarke geht an der offenen Luke vorbei und wirft einen Blick hinein. Er sitzt auf dem Untersuchungstisch, die Taucherhaut bis zur Hüfte geöffnet. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Bild. Sie bleibt stehen und steckt den Kopf durch die Luke.
Acton hat sich selbst geöffnet. Sie kann die Haut sehen, die um die Wassereinlassöffnung herum zurückgeklappt ist, die Stellen, an denen das Gewebe in Plastik übergeht, die Schläuche, die Blut und Kälteschutzmittel transportieren. Er hält ein Werkzeug in der Hand, das in dem Hohlraum verschwindet, während das sich drehende Ding an seiner Spitze leise vor sich hin surrt.
Acton trifft irgendwo einen Nerv und zuckt zusammen, als hätte er sich erschreckt.
»Sind Sie beschädigt?«, fragt Clarke.
Er blickt auf. »Ach. Hallo.«
Sie deutet auf seinen geöffneten Brustkorb. »Hat der Sackmäuler …«
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Nein, ich habe nur ein paar Blutergüsse am Bein. Ich nehme lediglich einige Anpassungen vor.«
»Anpassungen?«
»Eine Feinabstimmung.« Er lächelt. »Um mich besser einleben zu können.«
Es funktioniert nicht. Sein Lächeln wirkt irgendwie hohl. Die Muskeln verziehen zwar auf die übliche Weise die Lippen, doch das Lächeln bleibt auf die untere Gesichtshälfte beschränkt. Seine von den Kappen verdeckten Augen wirken so kalt wie eine Schneewehe, bar jeden Ausdrucks. Sie
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