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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Auf dem Hauptbildschirm erwacht die topografische Anzeige zum Leben. »Hmmm.« Acton fährt mit dem Finger über die leuchtenden Umrisse. »Also hier in der Mitte ist Beebe, und das da muss die Riftzone sein – Mann, ziemlich zerklüftete Landschaft dort draußen.« Er deutet auf eine Ansammlung von scharf umrissenen grünen Rechtecken am Rand des Bildschirms. »Sind das die Generatoren?«
    Clarke nickt.
    Acton hebt einen der kleinen Zylinder hoch. »Angeblich haben sie die Software für diese Dinger schon heruntergeschickt.« Es herrscht Schweigen. »Tja, wir werden es wohl gleich herausfinden, nicht wahr?« Er streicht über den Gegenstand in seiner Hand und drückt dann auf eines seiner Enden.
    Station Beebe schreit wie am Spieß.
    Angesichts des Getöses weicht Clarke erschrocken einen Schritt zurück, und stößt schmerzhaft mit dem Kopf gegen ein Rohr an der Decke. Die Station heult weiter, wortlos und verzweifelt.
    Acton drückt auf einen Knopf an der Steuerung, und das Jaulen hört mit einem Schlag auf.
    Erschüttert sieht Clarke zu den anderen hinüber. Sie wirken ungerührt. Natürlich. Zum ersten Mal fragt sie sich, was ihre Augen verraten würden, wenn sie unverhüllt wären.
    »Also«, sagt Acton, »jetzt wissen wir, dass die Alarmsirene funktioniert. Aber Sie erhalten auch ein optisches Signal.« Er deutet auf den Bildschirm: Direkt in der Mitte, innerhalb des leuchtenden Icons, das Beebe darstellt, pulsiert ein blutroter Punkt wie ein Herz unter Glas.
    »Es wird durch myoelektrische Impulse in der Brust ausgelöst«, erklärt Acton. »Schaltet sich automatisch ein, wenn Ihr Herz stehen bleibt.«
    Clarke spürt, wie sich Brander hinter ihr im Türrahmen umdreht.
    »Vielleicht sind meine Umgangsformen ein wenig veraltet …«, sagt Acton.
    Seine Stimme ist plötzlich sehr ruhig, auch wenn es niemandem sonst aufzufallen scheint.
    »… aber ich dachte immer, es sei … unhöflich … jemandem, der gerade mit einem spricht, den Rücken zuzukehren.«
    In den Worten liegt keine offene Drohung. Actons Tonfall klingt fast liebenswürdig. Doch das spielt keine Rolle. Clarke kann auf Anhieb sämtliche Zeichen erkennen: die mit Bedacht gewählten Worte, die ausdruckslose Stimme, die plötzliche leichte Angespanntheit eines Körpers, der kurz davorsteht, den kritischen Punkt zu überschreiten. Hinter Actons Augenkappen braut sich etwas Vertrautes zusammen.
    »Brander«, sagt sie ruhig, »warum bleiben Sie nicht noch ein wenig hier und lassen den Mann ausreden?«
    Sie hört, wie Brander hinter ihr stehen bleibt.
    Actons Anspannung lässt ein wenig nach.
    In ihrem Innern erwacht etwas aus dem Schlaf, das tiefer ist als jede Riftzone.
    »Sie sind einfach zu installieren«, sagt Acton. »Es nimmt nur etwa fünf Minuten in Anspruch. Der Netzbehörde zufolge sollen die Totmannschalter von nun an zur Standardausrüstung gehören.«
    Ich kenne Sie, denkt sie. Ich kann mich zwar nicht erinnern, woher, aber ich bin mir sicher, dass ich Ihnen schon einmal irgendwo begegnet bin …
    In ihrem Magen ballt sich etwas zusammen. Acton lächelt sie an, als würde er ihr eine geheime Grußbotschaft übermitteln.

    Acton soll in Kürze getauft werden. Clarke freut sich schon darauf.
    Sie stehen zusammen in der Luftschleuse, und ihre Taucherhäute kleben an ihnen wie Schatten. Der Totmannschalter, der vor Kurzem in Clarkes Brust eingesetzt wurde, juckt ein wenig. Sie weiß noch, wie sie das erste Mal auf diese Weise in den Ozean hinauskatapultiert wurde, und erinnert sich an die Frau, die ihr während der Wasserprobe die Hand gehalten hat.
    Heute ist diese Frau nicht mehr da. Die Tiefsee hat sie zerbrochen und ausgespuckt. Clarke fragt sich, ob mit Acton dasselbe geschehen wird.
    Sie flutet die Luftschleuse.
    Inzwischen ist es fast ein sinnliches Gefühl; ihre Eingeweide fallen in sich zusammen, der Ozean ergießt sich in sie wie ein Liebhaber, kalt und unaufhaltsam. Mit seinen 4°C fließt der Pazifik durch die Rohrleitungen in ihrer Brust und betäubt jeden Teil von ihr, der noch zu Empfindungen fähig ist. Das Wasser steigt bis über ihren Kopf; dank ihrer Augenkappen sind die unter Wasser befindlichen Wände der Schleuse jedoch immer noch kristallklar zu sehen.
    Für Acton ist es ganz anders. Er will sich zusammenkrümmen und stößt dabei gegen Clarke. Sie spürt seine Panik, sieht, wie er von Krämpfen geschüttelt wird und seine Knie in dem engen Raum nachgeben, in dem nicht genügend Platz ist, um zusammenbrechen zu

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