Abgrund: Roman (German Edition)
Brust wider.
»Sie suchen nach mir«, sagt sie.
»In Ordnung.«
»Seien Sie vorsichtig, ja?«
»Sie könnten hier draußen bleiben.«
Ihr Schweigen ist Antwort genug.
»Vielleicht komme ich mal zu Ihnen raus und besuche Sie«, erklingt schließlich ihre surrende Stimme. Sie steigt im Wasser auf und wendet sich ab.
»Bis bald«, sagt Schatten. Es ist das erste Mal, dass sie etwas laut sagt, seit sie in Fischers Innerem wohnt, doch er glaubt nicht, dass Lenie den Unterschied bemerkt hat.
Und dann ist sie fort.
Aber sie kommt ständig hier raus. Manchmal sogar allein. Er weiß, dass es nicht vorbei ist. Und wenn sie mit den anderen umherschwimmt und die Dinge erledigt, die auch er einmal erledigt hat, wird er da sein, ein wenig abseits, wo ihn niemand sehen kann. Und nach ihr sehen. Sich vergewissern, dass es ihr gut geht.
Wie ein Schutzengel. Nicht wahr, Schatten?
In der Ferne schimmern schwach ein paar Fische.
Schatten … ?
Ballett
Tänzer
E ine Woche später trifft Fischers Ersatz mit dem U-Boot ein. Niemand hält mehr in der Kommunikationszentrale Wache; den Maschinen ist es gleichgültig, ob sie ein Publikum haben oder nicht. Ein plötzliches Scheppern hallt durch die Station, und Clarke steht allein im Aufenthaltsraum und wartet darauf, dass sich die Decke öffnet. Über ihr zischt komprimiertes Nitrox und drängt das Meerwasser in die Tiefe zurück.
Die Luke klappt auf. Ein grünes Leuchten ergießt sich in den Raum. Ein Mann steigt die Leiter herunter. Seine Taucherhaut ist vollkommen geschlossen, nur das Gesicht ist zu sehen. Seine Augen mit den Kappen sind nichtssagende Glaskugeln. Doch irgendwie sind sie nicht so tot, wie sie es sein sollten. Etwas blickt durch diese leeren Linsen hindurch, und fast scheint es zu leuchten.
Seine blinden Augen tasten den Raum ab wie Radarschüsseln. »Sind Sie Lenie Clarke?« Seine Stimme ist zu laut, zu normal. Wir sprechen hier nur noch im Flüsterton, wird Clarke bewusst.
Sie sind jetzt nicht mehr allein. Lubin, Brander und Caraco sind am Rande ihres Blickfeldes aufgetaucht und kommen in den Raum geschwebt wie gleichgültige Gespenster. Abwartend bleiben sie am Eingang des Aufenthaltsraums stehen. Fischers Ersatz scheint sie gar nicht zu bemerken. »Ich bin Acton«, sagt er zu Clarke. »Und ich bringe Geschenke von der Oberwelt. Sehet!« Er streckt die geschlossene Faust aus und öffnet sie. Clarke sieht fünf Metallzylinder auf der Handfläche liegen, jeder kaum länger als zwei Zentimeter. Acton dreht sich langsam und theatralisch um und zeigt sein Mitbringsel den anderen Riftern. »Für jeden von Ihnen eins«, sagt er. »Sie werden in die Brust eingesetzt, direkt neben der Einlassöffnung für das Meerwasser.«
Die Luke über ihnen schließt sich. Dahinter ertönt ein postkoitales Klirren, das anzeigt, dass sich das Shuttle wieder auf den Weg nach oben gemacht hat. Einen Moment lang stehen sie unbeweglich da: die Rifter und der Neuankömmling mit den fünf neuen Geräten, die ihnen noch ein kleines Stück mehr von ihrer Menschlichkeit rauben sollen. Schließlich streckt Clarke die Hand aus, um eines der Geräte zu berühren. »Wozu sind die?«, fragt sie mit gleichgültiger Stimme.
Acton schließt die Faust und schaut sich mit leerem und zugleich durchdringendem Blick im Aufenthaltsraum um. »Nun, Ms. Clarke«, erwidert er, »die sagen uns Bescheid, wenn wir tot sind.«
Acton breitet seine Geräte auf einer Steuerkonsole in der Kommunikationszentrale aus. Clarke steht hinter ihm, und damit ist die Kabine voll. Caraco und Brander blicken durch die Luke herein.
Lubin ist verschwunden.
»Das Programm läuft erst seit vier Monaten«, sagt Acton, »und sie haben in Piccard bereits zwei Leute verloren, jeweils einen in Cousteau und Link, und mit Fischer sind es fünf. Das ist kein Ergebnis, das man gern in der ganzen Welt herumposaunt, nicht wahr?«
Niemand sagt etwas. Clarke und Brander stehen reglos da; Caraco tritt von einem Fuß auf den anderen. Acton lässt seine leeren, glänzenden Augen über sie hinweggleiten. »Mann, Sie sind mir vielleicht ein lebhafter Haufen. Sind Sie sicher, dass Fischer der Einzige ist, der hier unten den Verstand verloren hat?«
»Diese Dinger sollen uns das Leben retten?«, fragt Clarke.
»Nein. So wichtig sind wir denen da oben nun auch wieder nicht. Diese Geräte sollen Ihnen nur dabei helfen, den Leichnam eines Verstorbenen zu finden.«
Er dreht sich zu der Steuerkonsole um und bedient sie mit geübten Fingern.
Weitere Kostenlose Bücher