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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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die Anzeige scharf und richtet sie auf ein durchsichtiges grünes Skelett mit einem Uhrwerk in der Brust.
    »Ist er das?«, fragt Caraco.
    Clarke schüttelt den Kopf.
    »Vielleicht doch. Alle anderen sind …«
    »Das ist er nicht.« Clarke drückt auf einen Schalter. Die Anzeige zoomt auf maximale Reichweite zurück. »Sind Sie sicher, dass er nicht in seinem Quartier ist?«
    »Er hat die Station vor sieben Stunden verlassen und ist seither nicht zurückgekehrt.«
    »Vielleicht befindet er sich am Meeresboden. Oder hinter einem Felsen.«
    »Vielleicht.« Caraco klingt nicht überzeugt.
    Clarke lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Ihr Hinterkopf berührt die Rückwand der Kabine. »Nun, er macht seine Arbeit. Wenn seine Schicht vorbei ist, kann er gehen, wohin er will.«
    »Ja, aber das ist das dritte Mal. Und er kommt ständig zu spät. Er spaziert einfach herein, wie es ihm passt …«
    »Ja, und?« Plötzlich sehr müde, reibt sich Clarke mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. »Wir halten uns hier nicht an die Arbeitspläne der Landratten, das wissen Sie doch. Er tut seine Pflicht, also lassen Sie ihn in Ruhe.«
    »Aber Fischer wurde immer dafür bestraft, dass er zu spät k…«
    »Eigentlich hat es niemanden wirklich gestört, dass er zu spät gekommen ist«, unterbricht sie Clarke. »Sie haben nur … nach einem Vorwand gesucht.«
    Caraco beugt sich vor. »Ich mag ihn nicht«, gibt sie zu.
    »Acton? Es gibt auch keinen Grund dafür. Er ist völlig verrückt. So wie wir alle.«
    »Aber er ist irgendwie anders. Das wissen Sie doch.«
    »Lubin hätte in Galapagos beinahe seine Frau umgebracht, bevor sie ihn hierherversetzt haben. Brander hat mehrere Selbstmordversuche unternommen.«
    Etwas verändert sich an Caracos Haltung. Clarke kann es zwar nicht mit Sicherheit sagen, doch sie hat den Eindruck, dass sie den Blick auf das Deck gesenkt hat. Ich habe wohl einen Nerv getroffen .
    Etwas sanfter fährt sie fort: »Sie machen sich keine Gedanken über die restliche Mannschaft, oder? Was ist so Besonderes an Acton?«
    »Oh«, sagt Caraco, »schauen Sie.«
    Auf der taktischen Anzeige hat sich gerade etwas bewegt.
    Clarke zoomt näher an das Objekt heran; für eine gute Auflösung ist es zu weit entfernt, doch das harte metallische Leuchtzeichen in seiner Mitte ist nicht zu verwechseln.
    »Acton«, sagt sie.
    »Ähm … wie weit ist er draußen?«, fragt Caraco zögerlich.
    Clarke wirft einen Blick auf die Anzeige. »Er ist etwa neunhundert Meter weit entfernt. Wenn er einen Tintenfisch dabeihat, ist es nicht allzu schlimm.«
    »Das hat er nicht. Er nimmt nie einen mit.«
    »Hmm. Zumindest scheint er auf dem Weg hierher zu sein.« Clarke blickt zu Caraco hoch. »Wann gehen Sie zusammen auf Schicht?«
    »In zehn Minuten.«
    »Keine große Sache. Er wird fünfzehn Minuten zu spät dran sein. Höchstens eine halbe Stunde.«
    Caraco mustert die Anzeige. »Was macht er eigentlich dort draußen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Clarke. Nicht zum ersten Mal fragt sie sich, ob Caraco wirklich hierhergehört. Manche Dinge scheint sie einfach nicht zu begreifen.
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht mal mit ihm reden könnten«, sagt Caraco.
    »Mit Acton? Warum?«
    »Ach, nichts. Vergessen Sie’s.«
    »Gut.« Clarke steht von dem Stuhl in der Kommunikationszentrale auf. Caraco tritt durch die Kabinenluke hinaus, um sie vorbeizulassen.
    »Ähm … Lenie …«
    Clarke dreht sich um.
    »Was war es bei Ihnen?«, fragt Caraco.
    »Bei mir?«
    »Sie haben gesagt, Lubin hätte beinahe seine Frau umgebracht. Brander hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Was haben Sie getan … um sich zu qualifizieren, meine ich?«
    Clarke mustert sie ruhig.
    »Das heißt, wenn es nicht zu unverschämt ist, zu …«
    »Sie verstehen das nicht«, sagt Clarke mit vollkommen ausdrucksloser Stimme. »Nicht die Tatsache, dass Sie etwas Schlimmes getan haben, ist es, die Sie für die Riftzone geeignet macht. Sondern was Sie alles überlebt haben.«
    »Tut mir leid.« Trotz ihrer völlig leeren Augen gelingt es Caraco, beschämt auszusehen.
    Clarke gibt ein wenig nach. »Ich für meinen Teil«, sagt sie, »habe einfach gelernt, mich nach dem Wind zu drehen. Ich habe nichts großartig Erwähnenswertes getan, okay?«
    Allerdings wird sich das bald ändern.

    Sie weiß nicht, wie es so schnell geschehen konnte. Er ist erst seit zwei Wochen hier, dennoch kann die Luftschleuse sein Verlangen, nach draußen zu kommen, schon kaum noch im Zaum halten.

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