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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Während sich die Kammer mit Wasser füllt, spürt sie, wie ein Zittern seinen Körper durchläuft; und bevor sie sich rühren kann, betätigt Acton bereits die Verriegelung und sie stürzen nach draußen.
    Er schwimmt unter der Station hervor, seine Bahn folgt mühelos der ihren. Clarke paddelt auf den Schlund zu. Sie spürt Acton neben sich, auch wenn sie ihn nicht sehen kann. Seine Stirnlampe bleibt ebenso dunkel wie die ihre. Inzwischen betrachtet sie es als eine Art Achtungsbezeugung vor den schwächeren Lichtern, die hier unten leben.
    Sie hat keine Ahnung, wie Actons Begründung aussieht.
    Er beginnt erst zu reden, als Beebe bereits nur noch ein schmutzig gelber Fleck hinter ihnen ist. »Manchmal frage ich mich, warum wir überhaupt noch hineingehen.«
    Ist das tatsächlich Freude, die in seiner Stimme mitschwingt? Wie kann irgendeine Empfindung den mechanischen Spießrutenlauf überleben, dem ihre Stimmen hier draußen unterworfen sind?
    »Ich bin gestern in der Nähe des Schlunds eingeschlafen«, sagt er.
    »Sie haben Glück gehabt, dass Sie nicht von irgendwas gefressen wurden«, erwidert sie.
    »So schlimm sind die Fische hier unten gar nicht. Man muss nur erst eine Beziehung zu ihnen aufbauen.«
    Clarke fragt sich, ob seine Beziehung zu anderen Spezies von dem gleichen Einfühlungsvermögen geprägt ist wie die zu anderen Menschen. Doch sie behält die Frage für sich.
    Eine Zeitlang schwimmen sie durch die Dunkelheit, die nur hier und da von lebenden Sternen erleuchtet wird. Vor ihnen funkelt ein weiterer Lichtfleck, schwach und düster – der Schlund, sie sind genau auf Kurs. Es ist Monate her, seit Clarke das letzte Mal an die Leine gedacht hat, die sie eigentlich hin und zurück führen soll wie blinde Troglodyten. Sie weiß, wo die Leine sich befindet, doch sie benutzt sie nie. Hier unten erwachen andere Sinne zum Leben. Rifter verirren sich nicht.
    Einmal abgesehen von Fischer vielleicht. Doch Fischer war schon verloren, lange bevor er hier heruntergekommen ist.
    »Was ist eigentlich mit Fischer passiert?«, fragt Acton.
    Kälte breitet sich in ihrer Brust aus und erreicht ihre Finger, noch bevor Actons Stimme verklungen ist. Das ist Zufall. Eine vollkommen normale Frage .
    »Ich habe gesagt …«
    »Er ist verschwunden«, erwidert Clarke.
    »So viel habe ich auch schon erfahren«, erwidert Actons surrende Stimme. »Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht Genaueres sagen.«
    »Möglicherweise ist er draußen eingeschlafen. Oder irgendetwas hat ihn gefressen.«
    »Das möchte ich bezweifeln.«
    »Tatsächlich? Und seit wann sind Sie der Experte auf diesem Gebiet, Acton? Wie lange sind Sie jetzt hier? Zwei Wochen?«
    »Zwei Wochen nur? Es kommt mir schon viel länger vor. Wenn man draußen ist, scheint die Zeit langsamer zu vergehen, nicht wahr?«
    »Am Anfang«, sagt Clarke.
    »Wissen Sie, warum Fischer verschwunden ist?«
    »Nein.«
    »Er war zu nichts mehr nutze.«
    »Ah.« Die Maschine in ihrem Innern verwandelt das Geräusch halb in ein Krächzen und halb in ein Knurren.
    »Ich meine es ernst, Lenie.« Actons mechanische Stimme verändert sich nicht. »Glauben Sie, Sie könnten ewig hier unten bleiben? Denken Sie, man würde überhaupt Leute wie uns hier herunterschicken, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe?«
    Sie hält in der Bewegung inne. Ihr Körper gleitet jedoch weiter vorwärts. »Wovon reden Sie?«
    »Denken Sie doch mal nach, Lenie. Sie sind klüger als ich, zumindest wenn Sie wollen. Sie besitzen den Schlüssel zu der Stadt hier … Sie besitzen die Schlüssel zu der ganzen verdammten Küste, und trotzdem benehmen Sie sich immer noch wie ein Opfer.« Actons Stimmwandler gibt ein undefinierbares Gurgeln von sich – vielleicht ein falsch übersetztes Lachen? Ein Knurren?
    Dann sind wieder Worte zu hören: »Die bauen darauf, wissen Sie.«
    Clarke schwimmt weiter und richtet den Blick auf das heller werdende Leuchten des Schlunds.
    Das Licht ist nicht mehr da.
    Einen Moment lang ist sie verwirrt – Wir können uns doch nicht verirrt haben. Wir sind direkt darauf zugeschwommen. Ist womöglich der Strom ausgefallen? – , doch dann entdeckt sie den vertrauten Streifen aus grellem gelbem Licht in Richtung vier Uhr.
    Habe ich den Kurs gewechselt, ohne es zu bemerken?
    »Wir sind da«, sagt Acton.
    »Nein. Der Schlund ist dort drüben …«
    Eine Nova flammt neben ihr auf und flutet die Tiefe mit blendend hellem Licht. Es dauert einen Moment, bis Clarkes Augenkappen sich angepasst haben.

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