Abgrund: Roman (German Edition)
Meeresboden wimmern.
Wenn er sich konzentriert, ist er sich sogar ziemlich sicher, dass er eigentlich gar nichts hört.
Es kümmert ihn überhaupt nicht, im Quartier eines Toten untergebracht zu sein. Wo hätte er sonst einziehen sollen? Schließlich würde er wohl kaum mit einem der Vampire die Kabine teilen wollen. Außerdem ist Acton nun schon seit Monaten verschwunden.
Scanlon erinnert sich daran, wie er zum ersten Mal die Aufzeichnung gehört hat. Vier lausige Worte: »Haben Acton verloren. Sorry.« Danach hat sie aufgelegt. Kaltherziges Miststück, diese Clarke. Scanlon hat einmal geglaubt, dass sich zwischen ihr und Acton etwas entwickeln könnte. Das war eine der möglichen Verbindungen, die im Profil vorausgesagt wurden, doch ihrem Anruf war nichts dergleichen zu entnehmen gewesen.
Vielleicht ist sie ja diejenige, grübelt er. Womöglich ist es doch nicht Lubin, sondern Clarke.
»Haben Acton verloren.« Tolle Grabrede. Und vor Acton war es Fischer und Everitt drüben in der Station Linke. Und vor Everitt Singh. Und …
Und jetzt ist Yves Scanlon hier, an ihrer Stelle. Schläft in ihrer Koje und atmet ihre Luft. Zählt die Sekunden in Dunkelheit und Stille. In Dunkelheit …
Himmel, was ist das nur …
Und Stille. Alles ist ruhig. Da draußen wimmert nichts.
Gar nichts.
OFFI/ÜBERTR/220850:0945
Wir alle sind Säugetiere. Deshalb besitzen wir einen Tagesrhythmus, der den sich wandelnden Lichtverhältnissen angepasst ist. Seit Langem schon ist bekannt, dass sich der Tagesrhythmus eines Menschen ausweitet, wenn die Lichtverhältnisse immer gleich bleiben, und sich für gewöhnlich bei einem siebenundzwanzig- oder sechsunddreißigstündigen Zyklus einpegelt. Für gewöhnlich genügt es, regelmäßig einen vierundzwanzigstündigen Arbeitsplan einzuhalten, um dies zu verhindern. Deshalb haben wir nicht damit gerechnet, dass es in den Tiefseestationen ein entsprechendes Problem geben könnte. Als zusätzliche Maßnahme habe ich empfohlen, in Beebes Beleuchtungssystem eine normale Tageslichtperiode einzubauen. Die Lichter sind so programmiert, dass sie sich jeden Tag zwischen 22 Uhr und 7 Uhr ein wenig abdunkeln.
Die Teilnehmer haben offenbar beschlossen, sich über diese Maßnahmen hinwegzusetzen. Selbst während des »Tages« ist die von ihnen eingestellte Raumbeleuchtung dunkler als die von mir vorgeschlagenen »Nacht«-Werte. (Außerdem ziehen sie es aus offensichtlichen Gründen vor, ständig ihre Augenkappen zu tragen. Obwohl ich dieses Verhalten nicht vorhergesehen habe, stimmt es durchaus mit dem Profil überein.) Ihre Arbeitszeiten sind recht flexibel, doch das ist zu erwarten, da ihre Schlafrhythmen sich im Verhältnis zueinander ständig verschieben. Die Rifter wachen nicht auf, um ihre Aufgaben zu erfüllen; sie erfüllen ihre Aufgaben, wann immer zufällig zwei oder mehrere von ihnen wach sind. Ich habe die Vermutung, dass sie manchmal auch allein arbeiten, was eine Verletzung der Sicherheitsbestimmungen darstellen würde, doch bisher hat sich mein Verdacht noch nicht bestätigt.
Momentan scheint mir dieses abweichende Verhalten noch nicht kritisch zu sein. Alle anfallenden Arbeiten werden offenbar pünktlich erledigt, obwohl die Station im Augenblick unterbesetzt ist. Alles in allem halte ich die Situation jedoch für problematisch.
Vermutlich könnte die Arbeitsleistung durch das striktere Einhalten eines vierundzwanzigstündigen Tagesrhythmus verbessert werden. Sollte die Netzbehörde die Einhaltung des Tagesrhythmus wünschen, würde ich für die Teilnehmer eine Proteoglykan-Therapie empfehlen. Auch eine Neuverdrahtung des Hypothalamus wäre möglich. Dies stellt zwar eine invasivere Methode dar, ließe sich aber von den Teilnehmern praktisch nicht mehr unterlaufen. Vampire. Eine passende Metapher. Sie meiden das Licht und haben sämtliche Spiegel zerstört. Womöglich ist auch das ein Teil des Problems. Scanlon hatte gute Gründe dafür, Spiegel zu empfehlen.
Ein Großteil der Station – abgesehen von seiner Kabine – ist ohne Augenkappen zu dunkel. Vielleicht wollen die Vampire ja Energie sparen. Wenig glaubhaft, wenn man sich neben Generatoren befindet, die elftausend Megawatt produzieren können. Doch die Leute hier sind alle unter vierzig; vermutlich können sie sich eine Welt ohne rationierten Strom gar nicht mehr vorstellen.
Quatsch. Es gibt Logik und Vampirlogik. Du solltest beides nicht miteinander verwechseln.
Während der letzten zwei Tage hatte er stets das Gefühl, in
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