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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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eine dunkle Gasse hinauszugehen, wann immer er seine Kabine verlassen hat. Schließlich hat er nachgegeben und sich ebenfalls Augenkappen eingesetzt wie die anderen. Jetzt herrscht genügend Helligkeit in der Station, doch alles ist unheimlich blass. Es sind kaum Farben zu erkennen. Als seien die Zäpfchen aus den Augen herausgesaugt worden.
    Clarke und Caraco lehnen am Schott des Bereitschaftsraums und sehen ihm mit ihren weißen Augen dabei zu, wie er seine Taucherausrüstung überprüft. Yves Scanlon hat sich nicht vivisezieren und in einen Vampir verwandeln lassen, nein danke. Nicht für einen so kurzen Ausflug. Alles Siebgewebe und Acryl.
    Er streicht mit dem Finger über einen Stulpenhandschuh. Er besteht aus einem Kettenpanzer mit stecknadelkopfgroßen Gliedern. Scanlon lächelt. »Sieht gut aus.«
    Die Vampire beobachten ihn abwartend.
    Komm schon, Scanlon, du bist der Mechaniker. Sie sind Maschinen wie alle anderen auch. Sie müssen nur noch besser kalibriert werden. Du kommst schon mit ihnen klar.
    »Interessante Technik«, stellt er fest und legt die Ausrüstung wieder an ihren Platz zurück. »Natürlich ist das nichts im Vergleich zu der Hardware, die Sie mit sich herumtragen. Wie fühlt man sich so, wenn man sich nach Belieben in einen Fisch verwandeln kann?«
    »Nass«, sagt Caraco und blickt dann zu Clarke hinüber, wahrscheinlich um Anerkennung heischend.
    Clarke starrt weiter in seine Richtung. Zumindest glaubt er, dass sie ihn anstarrt. Das lässt sich so schwer feststellen.
    Entspann dich. Sie versucht nur, dich aus der Fassung zu bringen. Die üblichen albernen Dominanzspielchen.
    Doch er weiß, dass es um mehr geht. Tief in ihrem Innern hegen die Rifter eine Abneigung gegen ihn.
    Ich weiß, was sie sind. Das ist der Grund.
    Man nehme ein Dutzend Kinder beliebiger Abstammung. Man mische sie gründlich durch, bis keine Klümpchen mehr übrig sind. Dann lasse man sie für zwei bis drei Jahrzehnte vor sich hin köcheln und dann langsam hochkochen. Schließlich schöpfe man die Psychopathen, die Schizoaffektiven, die multiplen Persönlichkeiten und den ganzen Abschaum ab. (Bei Fischer waren sie im Zweifel gewesen. Wer hätte schließlich nicht schon einmal einen imaginären Freund gehabt?)
    Man lasse sie abkühlen und serviere sie dann mit Dopamin garniert.
    Und was erhält man dabei? Etwas, das verbogen, aber nicht zerbrochen ist. Etwas, das in Spalten passt, die für den Rest der Menschheit zu krumm und schief sind.
    Vampire.
    »Also gut«, sagt Scanlon in die Stille hinein. »Die Ausrüstung scheint in Ordnung zu sein. Ich kann es kaum erwarten, sie auszuprobieren.« Ohne auf eine Antwort zu warten – oder darauf, dass keine kommt – steigt er nach oben. Am Rand seines Blickfeldes tauschen Clarke und Caraco einen Blick aus. Betont beiläufig blickt Scanlon zurück, doch auf ihren Gesichtern ist kein Lächeln zu sehen.
    Wie ihr wollt, meine Damen. Macht euch euren Spaß, solange ihr noch könnt. Der Aufenthaltsraum ist leer. Scanlon durchquert ihn und betritt den Korridor. Euch bleiben vielleicht noch fünf Jahre, ehe ihr ausgemustert werdet. Seine Kabine – Actons Kabine – ist die dritte auf der linken Seite. Fünf Jahre, bis die ganze Maschinerie von selbst läuft, ohne eure Hilfe. Er öffnet die Luke; grelles Licht strahlt ihm entgegen und blendet ihn einen Moment lang, während sich die Augenkappen anpassen. Scanlon geht in die Kabine, schließt die Luke und sinkt dagegen.
    Mist. Keine Schlösser.
    Nach einer Weile legt er sich auf seine Koje und starrt zu der mit Rohren überzogenen Decke hoch.
    Vielleicht hätten wir doch noch warten und uns von ihnen nicht drängen lassen sollen. Wenn wir uns die Zeit genommen hätten, von Anfang an alles richtig zu machen, wäre es vielleicht …
    Doch sie hatten nicht genug Zeit gehabt. Die vollständige Automatisierung der Station von Anfang an hätte das Programm zu lange aufgehalten. Und der Hunger der Zivilisation war einfach zu groß gewesen. Außerdem hatte man die Vampire bereits geschaffen. Sie konnten ihnen vorübergehend von Nutzen sein, und dann würde man sie nach Hause schicken, und sie wären froh, diesen Ort wieder zu verlassen. Wer wäre das schließlich nicht?
    Die Möglichkeit, dass sie von der Riftzone abhängig werden könnten, war ihnen gar nicht erst in den Sinn gekommen.
    Es ist vollkommen verrückt, wenn man darüber nachdenkt. Wie kann irgendjemand von einem Ort wie diesem abhängig werden? Was für eine Paranoia hat die

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