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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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die ganze Sache geheim halten will, ist sie vielleicht auch klug genug, in den Personalakten der Netzbehörde keine entsprechenden Hinweise zu hinterlassen.
    Scanlon denkt über diese Frage nach. Einmal angenommen, die Akten wurden manipuliert. Vielleicht sollte er dann erst einmal den Kandidaten ausfindig machen, der am unwahrscheinlichsten ist. Er befiehlt dem Computer, die Akten nach dem jeweiligen Bildungshintergrund zu sortieren, ausgehend vom niedrigsten Wert. – Lenie Clarke. Vormedizinische Ausbildung abgebrochen, virtuell-technische Grundausbildung. Vor ihrer Abwerbung durch die Netzbehörde hat sie im Aquarium von Hongcouver gearbeitet. In der PR-Abteilung.
    Hmm. Jemand mit Lenie Clarkes gesellschaftlichen Fähigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit? Eher unwahrscheinlich. Ich frage mich, ob …
    Verdammt. Da ist es wieder.
    Yves Scanlon nimmt die Datenbrille ab und starrt zur Decke hoch. Das Geräusch dringt kaum hörbar durch die Hülle herein.
    Inzwischen habe ich mich sogar schon fast daran gewöhnt.
    Das Seufzen tönt durch die Schottwand, wird leiser und erstirbt. Scanlon wartet. Ihm wird bewusst, dass er den Atem anhält.
    Da ist es wieder. In weiter Ferne. Etwas sehr …
    Einsames. Es klingt furchtbar einsam .
    Er weiß, was das für ein Gefühl ist.

    Der Aufenthaltsraum ist leer, doch ein Schatten fällt durch die Luke der Kommunikationszentrale in den Raum. Eine leise Stimme von drinnen: Clarke, dem Klang nach zu urteilen. Scanlon lauscht ein paar Sekunden lang. Sie leiert die Versorgungs- und Konsumraten herunter und meldet die Ausrüstungsteile, die demnächst erneuert werden müssen. Ein Routineanruf bei der Netzbehörde, wie es scheint. Sie legt auf, ehe er in Sicht kommt.
    Zusammengesunken sitzt sie auf ihrem Stuhl, eine Tasse Kaffee in Reichweite. Einen Moment lang mustern sie einander, ohne etwas zu sagen.
    »Ist außer Ihnen sonst noch jemand hier?«, fragt Scanlon.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich dachte, ich hätte vor ein paar Minuten etwas gehört.«
    Sie dreht sich wieder zu der Konsole um. Einige Icons leuchten auf dem Hauptbildschirm.
    »Was tun Sie gerade?«
    Sie macht eine vage Handbewegung in Richtung der Konsole. »Ich halte Wache. Ich dachte, Ihnen würde das zur Abwechslung gefallen.«
    »Aber ich habe doch gesagt …«
    »Dass wir unsere Routine nicht ändern sollen«, fällt Clarke ihm ins Wort. Sie wirkt müde. »Gehen Sie immer davon aus, dass Ihre Versuchspersonen Ihnen blind gehorchen?«
    »Glauben Sie etwa, dass es mir darum ging?«
    Sie schnaubt verächtlich, ohne ihn anzusehen.
    »Sagen Sie«, fährt Scanlon fort, »sind Sie sicher, dass Sie nichts gehört haben, so etwas wie … wie …« Wie ein Gespenst, Clarke? Ein Geräusch, wie es der arme tote Acton machen könnte, während er zusieht, wie seine Überreste dort draußen in der Riftzone verrotten?
    »Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, sagt sie.
    Aha . »Sie haben also doch etwas gehört.« Und sie weiß auch, was es ist. Sie wissen es alle .
    »Was ich höre oder nicht, geht Sie nichts an«, sagt sie.
    Ein Wink mit dem Zaunpfahl, Scanlon . Doch er kann nirgendwo hingehen, außer zurück in seine Kabine. Und die Aussicht, allein zu sein … Irgendwie ist ihm im Augenblick sogar die Gesellschaft einer Vampirin lieber.
    Sie dreht sich erneut zu ihm um. »Gibt es sonst noch etwas?«
    »Eigentlich nicht. Ich kann einfach nicht schlafen.« Scanlon setzt ein entwaffnendes Lächeln auf. »Der Druck ist wohl immer noch ungewohnt für mich.« So ist’s recht. Wiege sie in Sicherheit. Bestätige ihre Überlegenheit.
    Sie starrt ihn einfach nur an.
    »Ich weiß nicht, wie Sie das monatelang aushalten«, fügt er hinzu.
    »Natürlich wissen Sie das. Sie sind der Psychiater. Sie haben uns ausgewählt.«
    »Eigentlich bin ich eher so etwas wie ein Mechaniker.«
    »Klar«, sagt sie ausdruckslos. »Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass kaputte Dinge nicht repariert werden.«
    Scanlon wendet den Blick ab.
    Sie steht auf und geht auf die Luke zu. Ihre Wachpflichten hat sie offenbar vergessen. Scanlon macht ihr Platz. Sie schiebt sich an ihm vorbei und vermeidet dabei trotz des engen Raums jeden Körperkontakt.
    »Hören Sie«, platzt er heraus. »Warum zeigen Sie mir nicht kurz, wie Sie von hier aus das Geschehen überwachen? Ich bin mit den Geräten nicht sonderlich vertraut.«
    Es ist zu offensichtlich. Er weiß, dass sie ihn durchschaut, bevor die Worte auch nur heraus sind. Doch zugleich ist es für jemanden in

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