Abitreff (German Edition)
schon mache,
warum soll ich dann nicht in einer freundlichen Nachbarschaft neu anfangen? Ich
muss mich erst einmal wieder selber finden, ehe ich an andere denken kann.“
„Alles klar! Komm morgen Nachmittag einfach vorbei, wir sind zuhause.
Dann regeln wir den Rest.“ Der Beamte streckte seine Hand aus.
Frank ergriff sie. „Kein Thema, ich werde kommen … äh … erscheinen.
Aber trotzdem Danke!“
„Kein Thema!“ Matthias erhob sich. „Aber lass uns jetzt mal wieder zu
den anderen gehen!“
Es passierte nun das, was auf Abi-Treffen immer passiert, man schwirrte
umher, man trank mit jemandem einen Schluck, mit dem anderen aß man noch ein
Häppchen vom Buffet, mit einer dritten Person wurde der Lungenschmacht
befriedigt. Genauso machte es Matthias, der auf dieser Tour plötzlich seinem
alten Stufenleiter gegenüber stand.
Rainer Habermas, Lehrer für Sport und Französisch, bei dem er nie einen
Kurs hatte, klopfte ihm auf die Schulter. „Matthias, eins muss ich Ihnen sagen!
Ihre Haarfarbe mag sich zwar geändert haben, aber sonst? Ich habe Sie sofort
wiedererkannt. Bei einigen hatte ich ja so meine leichten Probleme, aber bei
Ihnen?“
„Danke, es müssten zwar drei oder vier Kilo runter, meint jedenfalls
mein Arzt, aber erstens esse ich dazu viel zu gerne, und zweitens, ich bin
glücklich verpartnert, muss also keine Konkurrenz fürchten.“ Er grinste. „Gut,
auch eine intakte Beziehung ist kein Freifahrtschein zum Sichgehenlassen, zum
Rostansetzen, aber … sie macht doch etwas träge, wenn man das so sagen kann.“
Der Lehrer schüttelte amüsiert seinen Kopf. „Auch vom Wesen her sind
Sie immer noch der Alte; immer die Sache auf den Punkt bringen und dabei offen
und ehrlich seine Meinung sagen, auch wenn man damit aneckt und andere
vielleicht verletzen kann. Diplomatisch ist so etwas nicht gerade.“
„Ich weiß, aber …“ Matthias zuckte mit den Schultern. „… so bin ich
halt nun einmal. Entweder man kann damit umgehen, oder man kann es nicht. Aber
Offenheit hat sich am Schluss immer ausgezahlt, jedenfalls nach meiner
Erfahrung.“
„Am Ende gewinnt eh immer die Liebe, aber …“ Habermas grinste. „…
verpacken Sie ihre guten Hilfslieferungen nicht immer auf einem wilhelminischen
Kanonenboot, das schreckt nur ab.“
Matthias schluckte. „Ich bin also zu hart?“
„Nein, das habe ich nicht gesagt, es ist nur …“ Der Lehrer suchte nach
Worten. „Nehmen wir nur mal das Glas Wein, das vor mir steht, als Beispiel: Für
den einen ist es halb leer, für den anderen ist es halb voll, aber für Sie,
lieber Matthias, beträgt der Inhalt genau 105,3 Zentiliter. Auch wenn Sie zu
100 % Recht haben, aber … geben Sie anderen die Möglichkeit, sich ebenfalls
als Sieger fühlen zu können, auch wenn es in Wirklichkeit nicht so ist.“
Gegen elf setzte eine erste Aufbruchswelle ein, man rückte näher
zusammen. Matthias hatte gerade Anja Grundhaus mit einigen
Hintergrundinformationen zum Fall Piepenkötter versorgt, als Elmar mit drei
Bieren in der Hand zu ihnen stieß. Er verteilte die Gläser, man prostete sich
zu und echauffierte sich, dass Michael Waldmann, der eigentliche Organisator
des Treffens, zu keiner Minute anwesend gewesen war.
Der Mann aus Dresden gähnte plötzlich. „Sorry Leute, alt werde ich
heute ganz bestimmt nicht mehr. Matze? Wir haben ja fast die gleiche Richtung;
sollen wir uns nicht ein Taxi teilen?“
Der Controller hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, drehte sich
kurz um, zückte sein mobiles Kommunikationsgerät. Er grummelte innerlich; immer
noch keine Antwort auf seine MMS mit Elmars Bildern. Cihad hätte ihn angerufen,
wenn er hätte auf Tour gehen wollen. Entweder steckte sein Handy am Ladekabel
oder in seiner Jacke, dem üblichen Aufbewahrungsort. Wahrscheinlich hatte der
Student die Nachricht noch gar nicht gelesen, sein Gatte würde sich also
überraschen lassen müssen. Er drehte sich wieder zu Elmar. „Können wir gerne
machen!“
Elmar zückte sofort sein Mobilteil und bestellte die Droschke. „Alles
erledigt! Wir haben noch eine Viertelstunde, dann müsste der Wagen hier sein.“
Man nutzte die Zeit, um sich von den restlichen Anwesenden zu
verabschieden und die Rechnungen zu bezahlen, bei dem städtischen Beamten waren
es, inklusive Essen, 23 Euronen, bei dem Banker aus Dresden war es fast das
Doppelte.
Die Taxifahrt verlief relativ unspektakulär, was auch kein
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