Abonji, Melinda Nadj
geblieben; auf in den Kampf, sagt Vater, als wir das Licht im
Korridor löschen, die Wohnungstür schliessen, und wir gehen, von einer herb
süsslichen Wolke begleitet, über die stillen Parkplätze, zur Garage hinunter,
wir steigen fast lautlos ins Auto, Vater dreht das Radio an, fährt rückwärts
fast in die Schneeräummaschine, dieser Idiotenkopf von Abwart, flucht Vater,
ich hab ihm schon oft gesagt, er soll seine Spielzeuge korrekt abstellen — und
wir, einschliesslich Vater, wissen, dass es um etwas anderes geht, mit einem
leichten, nicht ernst gemeinten Fluch kann der Tag endlich beginnen, und wir
fahren den Hang hinunter, rollen unwiderruflich auf unseren Eröffnungstag zu.
"Herzlich willkommen!"
schreibe ich auf die Schiefertafel und stelle sie vor die Eingangstür (und mir
fällt ein, dass ich mir beim Kippen der Lichtschalter, die sich direkt beim Buffet
befinden, vorstelle, dass unsere Cafeteria jetzt hell leuchtet, unübersehbar,
von jedem Punkt des Dorfes aus zu sehen, Starkstrom, denke ich, lache, weil ich
gar nicht genau weiss, was Starkstrom ist).
Wir, die nicht nur
Ochsenschwanzsuppe, Brät, Bratensauce, Ravioli und Bohnen aus der Büchse von
unseren Vorgängern übernommen haben, sondern auch die beiden Serviertöchter,
Anita und Christel, und Marlis, die Küchenhilfe, nur Dragana, die Hilfsköchin,
haben wir neu eingestellt. Das Mondial wird ab dem 3. Januar 1993 von der
Familie Kocsis im gewohnten Stil, mit unveränderten Öffnungszeiten
weitergeführt — so schreibt die Dorfpost über unsere Geschäftsübernahme —, wir
kennen die Familie Kocsis von der örtlichen Wäscherei, die sie sieben Jahre
lang vorbildlich geführt hat. Die Familie, die aus dem ehemaligen Jugoslawien
stammt, hat sich gut integriert und hat vor sechs Jahren die Schweizer
Staatsbürgerschaft erhalten.
Die direkte Demokratie, meine
eigenwillig komische Vorstellung, damals, als ich in der Primarschule davon
gehört habe, wir sind das Sinnbild der Urdemokratie, sagte mein Lehrer, und
weil er "wir" sagte, gehörte ich natürlich auch dazu, obwohl "wir"
damals noch einen jugoslawischen Pass hatten, ich also noch keine
Papierschweizerin war, wie man später da und dort sagen würde. Mein Primarlehrer
hatte nichts gegen Ausländer, wie er einmal sagte, für ihn zähle nur die
Leistung, das gehöre dazu, zu einem Menschen, der urdemokratisch eingestellt
sei, gleiche Chancen für alle!, mein Lehrer, der sicher damit zu tun hatte,
dass ich mir die direkte Demokratie als ein Heer vorstellte, viele, wehrhafte
Soldaten, die in Reih und Glied standen, mit einem unbestechlichen Gesicht,
weil sie etwas Wichtiges verteidigen mussten, nämlich die Idee, dass alle die
gleichen Chancen haben.
Wir arbeiten heute in doppelter
Besetzung, ausnahmsweise, Mutter hilft Vater in der Küche, sie bestreichen die
Brezeln mit Butter, diskutieren darüber, wie dick die Butterschicht sein soll,
das ist zu mastig!, und das zu trocken! Vater und Mutter, die uns Kostproben
reichen, sich auf einen Kompromiss einigen, Mutter, die dann hundert Croissants
auf die geflochtenen Körbchen verteilt; Nomi und ich lassen die Kaffeemaschine
ein Mal leer laufen, prüfen, ob genügend Kaffee gemahlen ist, wir füllen den
Rahm in den Portionierungsbehälter, schneiden Zitronen in Schnitze, füllen die
Glasschale mit Orangen, und um Viertel vor sechs sitzen wir am Personaltisch,
am Tisch eins, trinken noch rasch einen Kaffee, als die Serviertöchter
eintreffen, Anita und Christel, gut aufgestanden?, gut geschlafen?, und schon
sind wir wieder auf den Beinen, warten auf die ersten Gäste, die kurz nach
sechs eintreffen, das sind immer die gleichen, sagt Anita, ein paar
Frühaufsteher, zwischen sechs und sieben, da gibt es kaum eine Veränderung, und
wir trippeln hin und her, Nomi und ich, zwischen Küche und Buffet, fragen
ständig, ob wir noch etwas helfen können, aber es gibt schon längstens nichts
mehr zu tun, und manchmal füllt sich die Cafeteria um acht, aber meistens erst
um neun, dann umso zackiger, sagt Anita, und Christel stellt das Radio an,
damit uns Madame Etoile mit hauchender Stimme erzählt, wie die Sterne stehen,
für diese Woche, Mutter, die bereits die frischen Kuchen bringt, sie auf das
Tischchen neben der Vitrine stellt, selbst gebacken?, fragt Christel, ja!, es
wird jeden Tag frischen Kuchen geben, und ich liebe ihn, diesen Moment, wenn
Mutter die Kuchen bringt, die halbierten Aprikosen und Pflaumen, die
geraffelten Äpfel, von einem süssen
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