Abonji, Melinda Nadj
ihre leicht geröteten Wangen, wie sie sich abwechselnd zu
Frau Köchli und Frau Freuler hindrehen (und was macht es denn aus, dass Mutters
Augen jetzt fliegen?), und Nomi stellt unsere Sträusse auf die Kuchenvitrine,
ein wunderschönes, gelbes Meer, sagt sie, und wir spannen wieder Kaffee ein,
erhitzen Milch, lassen heisses Wasser in Teegläser laufen, kontrollieren die
Bons, die uns Anita und Christel hinstellen.
Man sagt, jemand gibt einem
ein gutes Gefühl, wahrscheinlich gibt es nichts Schöneres, als wenn einem
jemand (grundlos) ein gutes Gefühl gibt, Frau Köchli und Frau Freuler, die uns
damals, als ihre Ehemänner noch lebten, deren Hemden zum Bügeln brachten, und
ich erinnere einzelne, wenige Sätze, wenn man so bügeln kann wie Frau Rózsa, und
auch der Herr Miklós, mit seinen breiten Fingern!, die beiden Schwestern, die
immer zusammen gekommen sind, es nie eilig hatten, Frau Freuler, die den Korb
trug mit den Hemden, weil sie kräftiger ist als jeder Kerl, sagte Frau Köchli
über ihre Schwester, die im Winter die riesige, klobige Eismaschine bestieg, um
die Kunsteisbahn zu putzen, und im Sommer, da sass sie auf einem erhöhten
Posten, unter einem Sonnenschirm, Frau Freuler arbeitete als Bademeisterin im
grössten Strandbad der Gemeinde, und niemand machte sich über sie lustig, über
ihre unsportliche, unvorteilhafte Figur, ich bin eine überreife Birne, sagte
sie lachend über sich selber, sondern alle hatten Respekt vor ihr, weil man
wusste, wie schnell die Birne sein konnte, wenn es darum ging, jemanden aus dem
Wasser zu ziehen; Frau Köchli, die im Dorf deswegen bekannt war, weil sie als
Bibliothekarin arbeitete und Haare auf den Zähnen hat; vor allem aber wird über
Frau Köchli erzählt, sie habe während des Zweiten Weltkrieges in Basel gelebt
und Flüchtlinge bei sich versteckt — und kaum standen die beiden Schwestern
in unserer Wäscherei, Frau Köchli mit ihrer auffälligen Kopfbedeckung, Frau
Freuler mit ihrem kurz geschnittenen, schwarzgrauen Haar, da kam es mir so vor,
als stünden die Fenster unserer Wäscherei weit offen, die beiden alten Frauen,
die von draussen immer etwas mitbrachten, den Duft nach Äpfeln, frisch gemähtem
Gras, einen Streit, den sie gerade gehabt hatten, mit einem ihrer Ehemänner
oder sonst wem, die Vorfreude darüber, dass es bald wieder Frühling ist, und es
hat mich beeindruckt, als Frau Köchli sagte, sie fühle den Frühling jedes Jahr
genau gleich, im Frühling bin ich so alt wie du, sagte sie zu mir, und ihre
Schwester lachte, warum lachst du?, weil es stimmt, antwortete Frau Freuler;
und wenn sich die Schwestern auf die Stühle neben dem Bügeltisch setzten, war
es nicht deswegen aussergewöhnlich, weil sie so lange da sitzen blieben, bis
der nächste Kunde kam, sondern weil Mutter und Vater mit den beiden Schwestern
auf eine Art scherzten, wie sie es hier nur ganz selten taten, die Schwestern,
die mir jetzt, am Eröffnungstag, das Gefühl geben, es gäbe nichts Logischeres,
als aufgeregt zu sein, an so einem Tag, das sagen sie mir mit ihrer Herzlichkeit,
meine Aufregung, die in ihren sprudelnden Gratulationen eine erlösende
Entsprechung findet.
* EröFFnungsmenü *
K albs
haxe mit K artoeeelstock und rübli
D essert S urpris
schreibe ich auf die Tafel,
stelle sie um halb zwölf vor die Tür, und Vater rüstet mit Dragana den ganzen
Morgen Salate, Zwiebeln, Knoblauch, Karotten, Vater, der Dragana zeigt, wie
sie die Orangen und Grapefruits zuschneiden soll für das Dessert, wir erwarten
keine Armee, sagt Mutter, als sie den grössten Topf sieht, der randvoll mit
Kalbshaxen gefüllt ist, die Hälfte würde vollkommen ausreichen, wir werden
sehen, sagt Vater und verzieht sich beleidigt hinter seinen Topf, Vater, der
erst wieder versöhnt ist, als wir ihm sagen, dass seine Haxe hervorragend
schmeckt (aber Mutter hat natürlich Recht, wir werden die nächsten Abende zu
Hause Haxe essen, weil Vater unter kochen die Töpfe füllen versteht, so
Mutter, und es wird Monate dauern, bis Vater sich mässigt, bis Mutter ihm
einigermassen das Kalkulieren beibringen kann, Vater, der ausserdem glaubt,
dass alle Gäste sein Menü essen sollten, und wenn nicht, dann bringt es ihnen
bei, dass es für sie am besten ist, Toast, Bouillon, Salat, hat man denn damit
gegessen?, eine Auseinandersetzung, die wir täglich führen werden, weil Vater tatsächlich
glaubt, es liege an uns, wenn die Gäste nicht das Menü, sein frisch
zubereitetes Menü bestellen).
Wo hast du so
Weitere Kostenlose Bücher