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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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gut schreiben
gelernt, fragt Anita, als wir uns am Mittag gegenübersitzen, ich, mit einem
Stück Haxe im Mund, meinst du das im Ernst, frage ich. Ja, im Ernst, antwortet
Anita, sie könne sich die Fremdwörter beim besten Willen nicht merken. Das
könne sie gut verstehen, meint Nomi, sie könne sich gar nichts merken, sie
müsse aufpassen, dass sie Haxe nicht mit ks schreibe, nein wirklich, sagt Nomi,
Anita, die den Kopf schüttelt, weil sie vieles kompliziert finde, beim
Schreiben, aber Haxe würde sie nie im Leben mit ks schreiben, und Christel,
die gerade eine Diät macht und an ihrem Salat knabbert (und Vater damit, für
sie unsichtbar, auf die Palme bringt, weil die Frauen, die ständig damit
beschäftigt sind, schlank zu sein, ihn fast so nerven wie verhätschelte Hunde
und Politiker, wenn sie einen nur zum Gähnen bringen), es gäbe Menschen, sagt
Christel, die hätten ein fotografisches Gedächtnis, Ildi, vielleicht hast du
ein fotografisches Gedächtnis für Buchstaben, und sie, sie würde sich gern
Gesichter für immer und ewig merken, das schon, so Christel! Marlis, die sich
mit einer grossen Portion Mittagsmenü hinsetzt, einen guten Appetit wünscht,
sich dann dem Essen hingibt, Marlis, die, wenn sie nicht am Essen ist, ständig
vor sich hinmurmelt, und wenn man sie anspricht, von ihrem "Hochzeiter"
erzählt, der sie bald entführen wird, und sie werde uns alle zur Hochzeit
einladen, der "Hochzeiter" habe ihr versprochen, dass es ein riesiges
Fest gebe, Marlis, die mit ihren lichtblauen Augen neben der Welt lebt, denke
ich, die seit Jahren verheiratet ist und der das Sorgerecht für ihre beiden
Kinder entzogen worden ist, wie uns die Tanners erzählt haben, eine arme
Seele, sagte Frau Tanner, aber sie tut ihre Arbeit, und es berührt mich auf
eine seltsame Art, wie sie Vater Schaff nennt, ihm jeden Tag behutsam auf die Schulter klopft
und sagt, Schaff, Sie müssen
dann kochen, für uns, für meinen "Hochzeiter" und mich!
    Sprichst du Deutsch, fragt
Anita Dragana, die ein bisschen abseits sitzt, noch kein Wort geredet hat, und
Dragana lässt sich Zeit mit der Antwort, spreche ich Deutsch, sagt sie dann und zwackt von
ihrer Brotscheibe Stückchen ab, lässt sie in die Sauce fallen, nicht viel, aber versteht sie
alles, sagt
Dragana über sich, tunkt die Brotstückchen und lässt sie rasch im Mund
verschwinden (ich schaue weg, weil ich nicht zusehen kann, wie irgendwer
irgendwas tunkt, am schlimmsten finde ich, wenn das Croissant sich im Kaffee
aufweicht, tropfend in den Mund gesteckt wird), Dragana, die mich überrascht,
weil sie ihr Wasserglas ein bisschen in die Luft hebt, mit einer feinen Stimme
sagt, Gluck,
für euch, für Eroffnung! Marlis, die sofort ihre Gabel fallen lässt, "Glück"
ruft, Glück hat ein schönes langes Kleid, und von der Seite, da sieht man das
Glück gar nicht, und wir lächeln, ein bisschen irritiert, Nomi und ich, wir
bedanken uns für die Wünsche, und Christel steht auf, um uns allen einen Kaffee
zu machen, bevor es dann losgeht.
    Da wir, ausser im Service, in
doppelter Besetzung arbeiten, kommen wir am Mittag nur massig unter Druck,
Anita, die am Mittag so richtig auf Touren kommt, nicht müde wird, darauf
hinzuweisen, dass heute nicht soviel los sei wie sonst, dass ein paar
Stammgäste ausgeblieben seien (Christel, die meint, der Montag sei doch schon
immer labil gewesen), der Salatteller sei kleiner als bei den Tanners, aber
gleich teuer, findet Anita, die nicht für sich spricht, sondern für die Gäste,
sagt sie, als sie uns vom ersten Tag an mit forschem Schritt und mindestens
knielangem Rock alles überbringt, was die Gäste sagen oder wissen wollen: Herr
Leuthold meint, der Kaffee sei nicht mehr so stark wie bei den Tanners. Wer ist
Herr Leuthold? Der Herr da drüben, in der Ecke. Der Kaffee ist immer noch genau
so stark, sagt Nomi, das kannst du Herrn Leuthold gern sagen (Nomi, deren
Stimme nicht einmal im Anflug zittert). Frau Zwicky finde die neue Tapete
ausserordentlich schön und festlich, was Geschmacksache sei, sagt Anita. Danke,
dass du uns auf dem Laufenden hältst, aber wir müssen nicht alles wissen, und
Nomi weicht Anitas Blick nicht aus, bleibt freundlich; ich verstehe das nicht,
ihr könntet doch daraus lernen, von dem, was die Gäste sagen, so Anita, ja,
stimmt, Anita, danke!
    Und bereits am Abend, nach
unserem Eröffnungstag, als wir mit Mutter und Vater erschöpft am Personaltisch
sitzen, den Tag nochmals rekapitulieren, alle der Meinung sind, dass

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