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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Blut
wirklich pulsieren sieht, weil wir uns vorstellen, wie es wäre, wenn unsere
Gäste die Tür aufmachten, und sie sähen als erstes dieses Bild, und es würde
die ganze hintere Wandfläche des Mondial abdecken und sich markant abheben von
den senfgelben Tischtüchern aus Leinen, der Wanduhr, den Vasen, den hellen
Schlaufengardinen, Fräulein, darf ich Sie fragen, haben Sie das gemalt?, ist dieses
Bild ein Symbol für irgendetwas?
    Mark und Dave, die sich zu uns
setzen, wir möchten uns auch amüsieren, ja dann, antwortet Nomi lachend,
erzählt uns doch einen Witz! Wo habt ihr zwei gesteckt, die ganze Woche, fragt
Mark und begrüsst zuerst mich, dann Nomi. Fängt der Witz so an, frage ich, und
Dave küsst Nomi, ziemlich lange, finde ich, willst du auch geküsst werden,
fragt Mark, nein, aber kannst du mir verraten, wie die Band heisst, die da aus
den Boxen kommt? Guts Pie Earshot, sagt Mark, was für ein Name, was für eine Stimme, sage
ich, die spielen heute auch, und Mark zieht mit seiner Zungenspitze eine Linie
auf seiner Zigarette, löst das Papier, reibt den Tabak zwischen Daumen und Zeigefinger,
kommen aus Deutschland, Mark, der den Tabak mit Gras vermischt, ist eine
richtige Politband, sagt Mark, ohne aufzuschauen, spielen nur in besetzten
Häusern, für politische Aktionen, konsequent, sage ich, Nomi und Dave, die sich
immer noch küssen, Mark, der mir den Joint hinhält, ich, die eigentlich nicht
will, ziehe, ziehe lange, bestellst du mir noch einen Tschai, sage ich, der
verpennte Typ hinter dem Buffet macht mich krank, Mark, dessen tief sitzende
Jeans ich mir anschaue, seinen Kapuzenpullover, der einen Streifen Haut frei
lässt, einen Tschai mit Rum, rufe ich Mark nach, versteht sich! (Und einen
Moment lang bin ich für mich allein, sehe die Schienen, wie sie sich kreuzen,
ich, die es liebt, nachts Reisende ein paar Sekunden lang zu beobachten,
manchmal dem Glück eines gelösten Gesichtes zu folgen, das einer Hoffnung
entgegenfährt, ich könnte stundenlang hier sitzen, um überallhin zu fahren, wo
ich noch nie war, nach Barcelona, mit dem Talgo und weiter nach Madrid,
Lissabon, ich bin keine Reisende, sondern eine, die weggeht und nicht weiss, ob
sie jemals zurückkommt, und jedes Mal, wenn ich weggefahren bin, habe ich mein
Zimmer peinlich genau aufgeräumt, habe meine Kleider, die ich nicht mitgenommen
habe, frisch gewaschen, ordentlich zusammengelegt oder im Schrank aufgehängt;
meinen Spiegel habe ich abgedeckt, damit er das Zimmer ohne mich nicht sieht,
mein leeres Schreibpult, das alphabetisch geordnete Bücherregal, das frisch
bezogene Bett, ich habe mich immer auf eine Abreise ohne Rückkehr vorbereitet,
wenn wir in die Vojvodina gereist sind, und das war lange Zeit die einzige
Richtung, in die ich gefahren bin.)
    Ich hab dich in keiner
Vorlesung mehr gesehen, sagt Mark, als er den Tschai auf den Tisch stellt, wir
sind im Moment ziemlich beschäftigt, sagt Nomi für mich, womit denn, will Dave
wissen, wir helfen unseren Eltern, antworte ich, Mark, der seinen Joint wieder
weiterreicht, euren Eltern, helfen? Ja, stell dir vor, wir arbeiten an der
Goldküste, in einer Cafeteria, sieht da ein bisschen anders aus als hier, und
Nomi und ich, wir lachen, und Mark sagt, wir sind mit zwei Goldküstenbarbies
unterwegs, das hätt' ich nicht gedacht, und er lacht auch, warum lachst du,
frage ich, Nomi, die mehrmals am Joint zieht, sagt, wir sollten uns alle
lieben, und Dave fragt, wir könnten doch mal bei euch vorbeikommen, ich möchte
euch zu gern sehen, wie ihr zwei da in diesem Goldküstencafe rumdüst, und ich,
die einen Schluck Tschai nimmt, der nur nach Rum schmeckt, ich glaube nicht,
dass das eine gute Idee ist; warum nicht?, die sollen uns ruhig besuchen, meint
Nomi, und das Cafe gehört euren Alten? Wie heisst die Band nochmals, was für
ein Earshot, frage ich,
ziehe am Joint; Themenwechsel meinst du, sagt Mark, und ich schaue ihn an, sein
weisses, schmales Gesicht, die langen Zähne, sein zerknautschtes, dichtes Haar,
ich mag das nicht, diesen Ausdruck, "meine Alten", sage ich und frage
zurück, was machen deine Eltern? So what?, hab ich was mit meinen Alten zu tun, antwortet Mark,
ich nicht, im Gegensatz zu dir, zu euch, ihr bekommt den cash von den Eltern. Und du, woher
hast du dein outfit, frage ich
(und gleich wird alles gut sein, gleich wird das Gras einfahren, denke ich,
gleich werde ich Tierköpfe sehen und keine Menschengesichter mehr, gleich wird
sich Mark in eine Katze verwandeln und

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