Abonji, Melinda Nadj
weiter
erzählte, was?, Geld willst du haben, flucht ihr Vater, versucht, sie mit dem
Stössel zu schlagen, sie wehrt sich, weicht aus. Wenige Tage später verliert
die junge Frau ihr Kind. Ihrem Vater kann sie sich in ihrem Schmerz nicht
anvertrauen, er beschimpft sie seit jenem Streit fast täglich als Hure. Sie
wartet auf den Tag, wo Imre aus dem Militär zurückkehrt. Imre kommt nicht. Erst
viel später erfährt sie, dass ihr Vater Imre aufgesucht hat, ihm erzählt hat,
seine Tochter habe mit einem anderen angebandelt, so leid es ihm selbst tue, er
müsse ihm, von Mann zu Mann, die Wahrheit sagen. Und Imre? Die junge Frau will
nicht glauben, dass er sie nicht selbst gefragt hat, er hat sie, von ihrem Vater
beschmutzt, allein stehen lassen.
Wenn du etwas gegen den Willen
deines Vaters tust, dann hast du die ganze Welt gegen dich, sagt Mutter, du
musst dich mit ihm versöhnen, ihm wenigstens das Gefühl geben, dass du nichts
über seinen Kopf hinweg entscheidest. Und: alles, was du tust, bleibt an dir
hängen, verstehst du das? (aber Onkel Piri ist doch ganz anders, er ist nicht
so, wie der Vater in deiner Geschichte; Mutter, die Nomis Einwand ignoriert),
Csilla, die antwortet, sie respektiere Mutters Geschichte, sie danke ihr
dafür, dass sie hierher gekommen sei, um ihr die Augen zu öffnen, aber ihr
mache es nichts aus, hier zu leben, und neulich, im Schlaf, sei ihr ein Engel
erschienen, der ihr gesagt habe, dass es ihre Bestimmung sei, mit ihrem Csaba
in Armut zu leben, Armut, das sei nichts Schlimmes, und der Engel, er habe
gesagt, er sei zwar ein Engel, aber er könne nicht fliegen, weil er einen
gebrochenen Flügel habe, das sei doch ein Zeichen — Tante Icu, die mit einem
Ruck aufsteht, so dass ihr mächtiger Bauch wackelt, mit ihren Fingern über ihr
Kleid wischt, als hätte es jemand beschmutzt, Csilla, dass du mir mit den
Engeln kommst! Sag deinem Engel, er soll dir den Unterschied zwischen Armut und
Verwahrlosung erklären, behüte dich Gott vor solchen Eingebungen. Du weisst,
dass meine Tür für dich offen steht, sagt Tante Icu, aber komm mir nicht mit
den Engeln!, und sie dreht sich grusslos weg; Mutter, die noch zwei Päckchen
Zigaretten auf den Tisch legt, Nomi und ich, die Csilla flüchtig umarmen, als
hätte sie eine ansteckende Krankheit, komm zurück, sagt Mutter, bitte!
Onkel Piri, der uns nicht
glaubt, dass wir auf dem Markt gewesen sind, wie Tante Icu blumig erzählt, auch
nicht, als wir Honigmelonen, gelbe Pfirsiche, türkischen Honig, ein Schälchen
Himbeeren auf dem Tisch ausbreiten (die Männer ablenken, das ist ein Handwerk,
das gelernt sein will, sagte Tante Icu), wenn ihr mir soviel Süsses auftischt,
habt ihr etwas zu verbergen, sagt Onkel Piri, während Tante Icu ihm einen
starken Kaffee braut (Vater, der immer noch "oben" schläft), ach, du
bist mein Hellseher, sagt Tante Icu, ich wundere mich schon lange, dass du
deine Begabung nicht zu Geld machst.
Onkel Piri legt sich ein
zweites Kissen auf den Stuhl, setzt sich, bittet uns, Platz zu nehmen, und er
legt die Hände übereinander, wartet schweigend, dass Tante Icu ihm einschenkt,
und als der Kaffee vor ihm dampft, wir uns alle an den Tisch gesetzt haben,
schiebt Onkel Piri sein Kinn nach vorn, fährt sich über die Bartstoppeln und
sagt, im letzten Krieg, da hat man mir meine Schulter durchschossen, die Kugel
ist rein und wieder raus; unser schöner, liebenswürdiger Onkel, der jetzt sein
Sommerhemd aufknöpft, um uns die Stelle zu zeigen, die Wunde, seither ist mein
linker Arm immer ein bisschen kälter als der rechte, sagt er und nippt an
seinem Kaffee, seither spüre ich hier, genau an dieser Stelle, seht ihr?,
hier!, was man vor mir verheimlichen will, und Onkel Piri langt nach seiner
Mütze, knallt sie mit einem Schwung auf den Tisch wie einer, der einen Trumpf ausspielt,
seine schwarzgrauen Borsten, die spitz von seinem Kopf wegstehen, jeden seiner
Sätze bekräftigen, Onkel Piri, der sich vergisst, der uns vergisst — und die
rohe Sprache, die wir von Onkel Piri kennen, hatte immer etwas Komisches, er
habe keine Kopfschmerzen mehr, sagte Onkel Piri, wenn jemand gestorben war,
Nomi und ich, wir haben gelacht, als unser Onkel über einen dummen Menschen
sagte, er habe nur Schuppen im Kopf —, aber jetzt sitzen wir ganz still am
Tisch, Nomi schaut schon lange niemanden mehr an, sondern fährt mit ihrem
Zeigefinger das winzige Muster des Tischtuches nach, und ich, die auf die
Plastikfrüchte starrt, die in einem Korb
Weitere Kostenlose Bücher