About a Boy
hat mich irgendwie falsch verstanden.«
»Und warum hast du nicht einfach gesagt: ›Tut mir Leid, du hast da was falsch verstanden?‹ Das hätte ihr bestimmt nichts ausgemacht. Warum sollte es sie interessieren, ob du mein Vater bist oder nicht?«
»Passiert es dir nie, dass in einem Gespräch jemand was falsch versteht, und dann geht das immer so weiter, bis es zu spät ist, das Missverständnis aufzuklären? Mal angenommen, jemand denkt, dein Name wäre Mark und nicht Marcus, und sagt jedes Mal ›Hallo, Mark‹, wenn er dich sieht, und du sagst dir, verflixt, jetzt kann ich es ihm nicht mehr sagen, weil es ihm dann furchtbar peinlich wäre, dass er mich sechs Monate lang Mark
genannt hat.«
»Sechs Monate!«
»Oder wie lang auch immer.«
»Ich würde ihm einfach beim ersten Mal sagen, dass er sich
geirrt hat.«
»Das ist aber nicht immer möglich.«
»Wieso soll es nicht möglich sein, jemandem zu sagen, dass er einen Namen falsch verstanden hat?«
»Weil … « Will wusste aus persönlicher Erfahrung, dass es manchmal nicht möglich war. Einer seiner Nachbarn von gegenüber, ein netter alter Knabe namens Bill, der einen Buckel und einen schrecklichen kleinen Yorkshireterrier hatte, nannte ihn Bill. Er hatte es immer getan und würde es wohl bis zum Ende seiner Tage tun. Es ärgerte Will tatsächlich, denn er hielt sich beim besten Willen nicht für einen Bill. Ein Bill würde weder Joints rauchen noch Nirvana hören. Warum hatte er dann dieses Missverständnis nie aufgelöst? Warum hatte er vor vier Jahren nicht einfach gesagt: »Eigentlich heiße ich Will?« Marcus hatte natürlich Recht, aber das nützte einem wenig, wenn der Rest der Welt sich irrte.
»Wie auch immer«, sagte er in forschem, energischem Tonfall.
»Tatsache ist, die Frau hält dich für meinen Sohn.«
»Dann sag ihr doch, dass ich es nicht bin.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Wir drehen uns hier im Kreis, Marcus. Kannst du diese Tatsache nicht einfach akzeptieren?«
»Ich sage es ihr, wenn du möchtest. Mir macht das nichts aus.« »Das ist sehr lieb von dir, Marcus, aber es hilft mir nicht.« »Wieso nicht?«
»Gott im Himmel! Weil sie eine seltene Krankheit hat, und wenn sie etwas glaubt, das nicht stimmt, und man ihr die Wahrheit sagt, dann kocht ihr das Gehirn im Kopf und sie muss
sterben.«
»Für wie alt hältst du mich? Scheiße, deinetwegen habe ich jetzt ein Leben verloren.«
Will musste sich langsam eingestehen, dass er, anders als er bisher angenommen hatte, doch kein so guter Lügner war. Er war ein leidenschaftlicher Lügner, sicher, aber Leidenschaft war nicht gleich Effizienz, und im Moment fand er sich permanent in der Situation, die erniedrigende Wahrheit eingestehen zu müssen, nachdem er tage- oder wochenlang schamlos gelogen hatte. Das würde einem guten Lügner nie passieren. Ein guter Lügner hätte Marcus schon vor Ewigkeiten überzeugt, dass es Tausende von guten Gründen gäbe, warum er sich als Wills Sohn ausgeben sollte, aber Will fiel nur ein einziger ein.
»Hör zu, Marcus. Ich bin an dieser Frau wirklich sehr interessiert, und damit sie sich auch für mich interessiert, habe ich sie glauben lassen, dass du mein Sohn bist. Mir ist nichts anderes eingefallen. Da habe ich es eben getan. Es tut mir Leid. Und es tut mir Leid, dass ich dir das nicht gleich gesagt habe.« Marcus starrte auf den Videoschirm - er war gerade von einer Mischung zwischen Robocop und Godzilla weggepustet worden - und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Coladose. »Das kapiere ich nicht«, sagte er und rülpste ostentativ. »Komm, hör schon auf, Marcus. So weit waren wir schon mal.«
»Was soll das heißen, du bist ernsthaft an ihr interessiert? Was ist an ihr so interessant?«
»Ich meine…« Er stöhnte verzweifelt auf. »Lass mir wenigstens einen kleinen Rest von Selbstachtung, Marcus. Mehr verlange ich gar nicht. Nur ein winziges, schäbiges Restchen.« Marcus starrte Will an, als würde er plötzlich Urdu reden. »Was hat Selbstachtung damit zu tun, dass die Frau interessant ist?« »Okay. Vergiss die Selbstachtung. Ich habe kein Anrecht dar auf. Mir gefällt diese Frau, Marcus. Ich will mit ihr ausgehen. Ich hätte gerne, dass sie meine Freundin wird.«
Endlich löste Marcus seine Augen vom Bildschirm, und Will sah, dass sie vor Faszination und Vergnügen leuchteten. »Ehrlich?«
»Ja, ehrlich.« Ehrlich, ehrlich. Er hatte seit Silvester praktisch an nichts anderes gedacht (nicht, dass er viel hatte, woran er
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