About a Boy
mit den Füßen zu wippen, und dass sie tanzten, war einzig und allein daran zu erkennen, dass sie einander gegenüberstanden, sich aber nicht richtig ansahen und nicht miteinander redeten.
»Ich wünschte, ich könnte auch so tanzen«, meinte Marcus. Ellie verzog das Gesicht. »So kann doch jeder tanzen, Hauptsache, man ist bescheuert genug und die Musik ist beschissen.« »Ich finde, sie sieht toll aus. Sie ist total gut drauf.« »Wen interessiert es, ob sie gut drauf ist. Tatsache ist, sie macht sich zur Vollidiotin.« »Du magst deine Mutter also nicht?« »Sie ist ganz in Ordnung.« »Was ist mit deinem Vater?«
»Der ist in Ordnung. Sie leben nicht zusammen.« »Stört dich das?«
»Nein. Manchmal. Will ich nicht drüber reden. Also, hattest du ein schönes 1993, Marcus?«
Marcus dachte einen Moment über 1993 nach und brauchte nicht länger als diesen Moment, um zu dem Schluss zu kommen, dass 1993 alles andere als ein gutes Jahr gewesen war. Er hatte nur zehn oder elf andere Jahre zum Vergleich, und an drei oder vier hatte er keine sehr deutliche Erinnerung, aber wie er das sah, hätte wohl niemand seinen letzten zwölf Monaten viel abgewinnen können. Der Schulwechsel, die Krankenhaussache, die anderen Kinder in der Schule… Es war eine einzige Pleite gewesen.
»Nein.«
»Du brauchst was zu trinken«, sagte Ellie. »Was möchtest du?
Ich hole dir einen Drink, und dann kannst du mir alles erzählen.
Aber wenn’s mir zu langweilig wird, lasse ich dich stehen. So
bin ich.«
»Okay.«
»Also, was nimmst du?«
»Cola.«
»Du brauchst einen richtigen Drink.«
»Das darf ich nicht.«
»Ich erlaube dir das. Wenn du mein Date für heute Abend sein
willst, bestehe ich darauf, dass du was Richtiges trinkst. Ich tu
dir was in die Cola, okay?«
»Okay.«
Ellie verschwand, und Marcus sah sich nach seiner Mutter um: Sie unterhielt sich mit einem Mann, den er nicht kannte, und lachte viel. Das freute ihn, denn er hatte sich Sorgen wegen des Abends gemacht. Will hatte ihm gesagt, er solle am Silvesterabend ein Auge auf seine Mutter haben, und obwohl er nicht genau gesagt hatte, warum, konnte Marcus es doch erraten: Viele Menschen, die unglücklich waren, brachten sich an solchen Tagen um. Er hatte das irgendwo gesehen, in Casualty vielleicht, und deswegen dem Abend mit Schrecken entgegengesehen. Er hatte befürchtet, er würde sie den ganzen Abend beobachten müssen und in ihrem Blick, ihrer Stimme nach etwas suchen, das ihm verraten würde, dass sie daran dachte, es wieder zu tun, aber es kam ganz anders: Sie trank sich einen Schwips an und lachte wie alle anderen auch. Hatte sich schon mal jemand umgebracht, nachdem er ein paar Stunden zuvor noch herzlich gelacht hatte? Wahrscheinlich nicht, schätzte er. Wenn man lachte, war man meilenweit davon entfernt, und er dachte jetzt nur noch in Entfernungen. Seit dem Tag der toten Ente hatte er sich den Selbstmord seiner Mutter als den Rand einer Klippe vorgestellt: Manchmal, an Tagen, an denen seine Mutter traurig oder unruhig wirkte, hatte er das Gefühl, sie seien ungemütlich nahe dran, und an anderen Tagen, an Weihnachten oder jetzt eben, schienen sie meilenweit entfernt zu sein und in gemütlichem Tempo auf der mittleren Spur der Autobahn zu fahren. Am Tag der toten Ente waren sie viel zu dicht daran vorbeigeschrammt, zwei Räder über dem Abgrund und jede Menge schreckliche, schlitternde Geräusche. Ellie kam mit einem Plastikbecher wieder, in dem etwas war, das wie Cola aussah, aber irgendwie nach Gummibärchen roch. »Was ist da drin?« »Sherry.« »Trinken Leute so was? Cola mit Sherry?«
Er probierte vorsichtig. Es schmeckte angenehm, süß, schwer und wärmend. »Und wieso war es nun so ein Scheißjahr?«, fragte Ellie. »Mir kannst du es ruhig erzählen. Tante Ellie versteht alles.«
»Na ja … ich weiß nicht. Schreckliche Sachen sind passiert.«
Im Grunde wollte er Ellie nicht erzählen, was für Sachen das waren, denn er wusste nicht, ob sie Freunde waren oder nicht. Bei ihr war alles möglich: dass er eines Morgens in ihr Klassenzimmer kam und hörte, wie sie es lauthals jedem erzählte, der es hören wollte, oder dass sie wirklich nett war. Das Risiko war es ihm nicht wert.
»Deine Mutter hat versucht, sich umzubringen, stimmt’s?« Marcus sah sie an, nahm einen großen Schluck Cola mit Gummibärchen und kotzte ihr fast über die Füße.
»Nein«, sagte er hastig, nachdem er nicht mehr husten musste
und das, was ihm hochgekommen war, wieder
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