About a Boy
Luft lag, hatte er offenbar keine besondere Spürnase für Sex. Wenn man unmittelbar im Anschluss an eine vermeintlich sexfreie Unterhaltung von einer wunderschönen Frau ins Schlafzimmer geführt wird, während sie gleichzeitig ihr Hemd aufknöpft, hat man wohl irgendwo nicht richtig aufgepasst.
Es begann mit einer glücklichen Fügung, die er zunächst nicht als solche erkannte: Ali war an diesem Abend nicht zu Hause, er übernachtete bei einem Schulkameraden. Hätte Rachel ihm in irgendeinem anderen Stadium ihrer Beziehung gesagt, dass sie ausnahmsweise von ihrem psychotisch ödipalen Sohn befreit war, hätte er das als Zeichen des Allmächtigen gedeutet, dass es ans Bumsen ging, aber heute registrierte er es gar nicht. Sie gingen in die Küche, sie machte Kaffee, und noch ehe das Wasser kochte, war er schon mitten in der Geschichte über Fiona und Marcus und den Sinn.
»Was der Sinn ist?«, wiederholte sie. »Du lieber Himmel.« »Und sag jetzt bloß nicht Ali. Ich habe keinen Ali.« »Du hast einen Marcus.«
»Es fällt einem schwer, sich Marcus als den Sinn von irgendwas vorzustellen. Ich weiß, das hört sich schrecklich an, aber es stimmt. Du hast ihn ja kennen gelernt.«
»Er ist nur etwas verkorkst. Aber er bewundert dich.«
Will war nie auf den Gedanken gekommen, Marcus könne ihm tatsächlich echte Gefühle entgegenbringen, und erst recht nicht Gefühle, die Dritten auffielen. Er wusste, dass Marcus gerne bei ihm war, und er wusste, dass Marcus ihn als seinen Freund betrachtete, aber all das hatte er bloß als Ausdruck der Verschrobenheit und Einsamkeit des Jungen gewertet. Durch Rachels Feststellung, dass da echte Gefühle im Spiel waren, sah das jetzt ganz anders aus, so wie man manchmal, wenn man von einer Frau, die man zuerst nicht beachtet hatte, erfuhr, dass sie einen anziehend findet, die Situation neu bewertete und sie plötzlich mit anderen Augen ansah.
»Meinst du?« »Natürlich tut er das.«
»Als Sinn taugt er trotzdem nichts. Wenn ich gerade meinen Kopf in den Gasofen gesteckt hätte, würde ich ihn nicht unbedingt wieder rausziehen, nur weil du mir sagst, dass Marcus mich verehrt.« Rachel lachte. »Was ist daran so komisch?« »Ich weiß nicht. Ich stelle mir nur gerade die Situation vor. Wenn du am Ende eines gemeinsamen Abends deinen Kopf in den Gasofen stecken würdest, wären wir uns wohl einig, dass der Abend kein umwerfender Erfolg gewesen ist.« »Ich … « Will brach ab, nahm einen neuen Anlauf und haspelte in aller Aufrichtigkeit, mit viel mehr Aufrichtigkeit, als er in einem Satz unterbringen konnte, drauflos: »Ich würde meinen Kopf niemals nach einem Abend mit dir in den Gasofen stecken.«
Er hatte es kaum ausgesprochen, da wusste er schon, dass es ein Riesenfehler gewesen war. Er hatte es ernst gemeint, aber gerade das machte es so komisch: Rachel lachte, bis ihr die Tränen in den Augen standen. »Das«, sagte sie mühsam nach Luft ringend, »ist … das … Romantischste …. das mir jemals jemand gesagt hat.«
Will saß hilflos da und fühlte sich wie der größte Trottel der Welt, doch nachdem sich die Dinge wieder beruhigt hatten, schienen sie an einem ganz anderen Ort zu sein, an dem sie herzlicher und weniger verkrampft miteinander umgehen konnten. Rachel machte den Kaffee, fand ein paar muffige Plätzchen mit Cremefüllung und setzte sich mit ihm in die Küche. »Nach einem Sinn musst du nicht erst suchen.«
»Ach, nein? Das kommt mir aber ganz anders vor.« »Nein. Verstehst du, ich habe über dich nachgedacht. Man muss nämlich seelisch ziemlich stabil sein, um das zu tun, was du tust.«
»Wie bitte?« Für einen Moment war Will völlig verwirrt. »Seelisch stabil«, »um zu tun, was du tust« … in solchen Worten sprach man sonst eher selten von ihm. Scheiße, was hatte er Rachel bloß erzählt, was er tun würde? Auf der Zeche arbeiten? Schwer erziehbare Jugendliche unterrichten? Aber dann fiel ihm ein, dass er Rachel nie solche Lügen erzählt hatte, und jetzt war er erst recht verwirrt. »Was tue ich denn?« »Nichts.«
Genau das hätte Will auch gesagt. »Und wieso muss ich dafür seelisch stabil sein?«
»Weil … die meisten von uns glauben, dass der Sinn irgendwas mit dem Beruf, mit Kindern, Familie oder was auch immer zu tun hat. Aber so was hast du alles nicht. Nichts steht zwischen dir und der Verzweiflung, trotzdem wirkst du nicht sonderlich verzweifelt.« »Dafür bin ich zu blöd.«
»Du bist nicht blöd. Woran liegt es also, dass du
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