About a Boy
er seinen Sohn nur dann sehen, wenn er sich das Schlüsselbein gebrochen hatte? Marcus konnte sich nicht erinnern, dass er vorher schon einmal nach Hause gekommen war und seine Mutter ihm gesagt hatte, er müsse den nächsten Zug nach Cambridge nehmen, weil sein Vater verzweifelt sei. Während Hunderten und Aberhunderten von Tagen, an denen sein Schlüsselbein in Ordnung war, hatte Marcus nichts von ihm gehört.
Er ging nach unten zu seiner Mutter. »Ich fahre nicht hin«, erklärte er ihr. »Er kotzt mich an.«
Erst am nächsten Tag, als er mit Ellie über die Fensterbrettgeschichte sprach, begann er seine Meinung über einen Besuch bei seinem Vater zu ändern. Sie hatten Vormittagspause und waren in einem leeren Klassenraum, der ursprünglich nicht leer gewesen war: Als Marcus Ellie gesagt hatte, er wolle mit ihr reden, hatte sie ihn bei der Hand genommen, hier hineingeführt und das halbe Dutzend Kinder vergrault, die sich darin herumdrückten, Kinder, die sie gar nicht kannte, die aber bereitwillig zu glauben schienen, dass Ellie die schrecklichen Drohungen, die sie ausstieß, wahr machen würde. (Wie machte sie das?, fragte er sich. Sie war nicht viel größer als er, wieso kam sie dann mit solchen Sachen durch? Vielleicht könnte er anderen Leuten auch Angst einjagen, wenn er anfangen würde, sich zu schminken wie sie und sich die Haare selber zu schneiden, aber auch dann würde noch etwas fehlen.)
»Fahr doch hin und besuch ihn. Sag ihm, was du von ihm hältst. Ich würde das machen. Der Arsch. Ich komme mit, wenn du willst. Dem würde ich’s geben.« Sie lachte, und Marcus hörte sie zwar, war aber bereits ins Träumen geraten. Er dachte daran, wie schön es wäre, Ellie eine ganze Stunde im Zug allein für sich zu haben, nur sie beide; und dann dachte er daran, wie toll es wäre, Ellie auf seinen Vater loszulassen. In der Schule war Ellie wie eine Lenkrakete, und manchmal hatte er das Gefühl, sie sei seine persönliche Lenkrakete. Wann immer er mit ihr zusammen war, konnte er ihr Ziele zeigen, und sie zerstörte sie dann, und dafür liebte er sie. Sie hatte Lee Hartleys Kumpel verprügelt und dafür gesorgt, dass er nicht mehr so oft ausgelacht wurde … Wenn es in der Schule so gut funktionierte, warum sollte es außerhalb der Schule nicht auch funktionieren? Ihm fiel nichts ein, was dagegen sprach. Er
würde Ellie auf seinen Vater richten und zuschauen, was pas
sierte.
»Willst du wirklich mitkommen, Ellie?«
»Ja, klar. Wenn du das willst. Das wird geil.« Marcus hatte gewusst, dass sie ja sagen würde, wenn er fragte. Ellie würde fast zu allem außer einem Tanz auf einer Party ja sagen. »Außerdem willst du den weiten Weg doch wohl nicht ganz allein machen, oder?«
Er machte immer alles alleine und hatte daher noch nie darüber nachgedacht, ob es Alternativen gab. Das war das Problem mit Ellie: Er hatte Angst, ihm würde, falls sie einmal nicht mehr da wäre, trotzdem noch bewusst sein, dass es Alternativen gab, nur würde ihm das nichts nützen, denn er hätte keine Chance, sie wahrzunehmen, und sein ganzes Leben wäre verpfuscht. »Eigentlich nicht. Meinst du, Zoe will auch mitkommen?« »Nein. Sie würde nicht wissen, was sie zu ihm sagen soll, ich aber schon. Nur wir beide.«
»Dann abgemacht. Super.« Marcus wollte nicht darüber nachdenken, was Ellie wohl zu sagen haben würde. Darüber konnte er sich später noch Sorgen machen.
»Hast du genug Geld? Ich habe nämlich kein Fahrgeld.« »Das kriege ich schon zusammen.« Er gab nicht sehr viel aus; er schätzte, dass er mindestens zwanzig Pfund angespart hatte, und seine Mutter würde ihm sowieso geben, was er für die Reise brauchte.
»Wie wäre es dann nächstes Wochenende?« Es war schon fast Ostern, und nächste Woche hatten sie Ferien, also konnten sie über Nacht bleiben, wenn sie wollten. Und Marcus würde Ellie zu Hause anrufen müssen, um die Einzelheiten zu besprechen - es wäre wie eine richtige Verabredung. »Gut. Cool. Das gibt einen Riesenspaß.«
Marcus fragte sich einen Moment lang, ob seine Vorstellung von einem Riesenspaß und Ellies Vorstellung von einem Riesenspaß sich deckten, und beschloss dann, sich darüber erst später Sorgen zu machen.
Fiona wollte Marcus nach King’s Cross begleiten, aber das
konnte er ihr ausreden.
»Das wäre zu traurig«, sagte er.
»Du fährst doch nur für eine Nacht.«
»Aber ich werde dich vermissen.«
»Vermissen wirst du mich auch, wenn wir uns an der U-Bahn verabschieden.
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