About a Boy
Allergie gegen irgendwas entwickeln. »Es tut mir Leid«, meinte Fiona. »Was?«
»Dass ich so bin. Und auch noch dir gegenüber.« »Ich bin daran gewöhnt, dass Frauen mir gegenüber so sind. So verbringe ich die meisten Abende.« Fiona lächelte höflich, aber plötzlich war Will von sich selbst angewidert. Er wollte einen Einstieg in das unvermeidliche Gespräch finden, aber es schien keinen zu geben und würde auch nie einen geben, solange er so in seinem Denkschema, seinem Vokabular, seiner Persönlichkeit verhaftet war. Er hatte immer das Gefühl, er sei kurz davor, etwas Richtiges, Ernsthaftes und Hilfreiches zu sagen, aber am Ende dachte er doch wieder, ach, scheiß drauf, sag lieber etwas Albernes.
»Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss«, sagte er. »Ich möchte helfen, weiß aber, dass es mir nicht möglich sein wird. Ich habe auf nichts eine Antwort.«
»Das ist so typisch männliches Denken, stimmt’s?« »Was?«
»Dass es sich gar nicht erst lohnt, über irgendwas zu reden, solange man nicht sagen kann: ›Oh, da habe ich einen Kumpel in der Essex Road, der dir das reparieren kann.‹«
Will rutschte auf seinem Sitz herum und schwieg. Genau das hatte er gedacht; tatsächlich hatte er den halben Abend lang versucht, auf den Namen dieses Kerls aus der Essex Road zu kommen, bildlich gesprochen.
»Das will ich gar nicht. Ich weiß, dass du nichts daran machen kannst. Ich bin deprimiert. Das ist eine Krankheit. Irgendwann war sie da. Na ja, das stimmt nicht, es gab schon einige auslösende Faktoren … «
Und schon waren sie mittendrin. Es war leichter, als er es sich vorgestellt hatte: Er musste nichts weiter tun, als zuzuhören, zu nicken und passende Fragen zu stellen. Das hatte er früher schon gemacht, oft genug, mit Angie und Suzie und Rachel, da aber mit gutem Grund. Diesmal hatte er keine Hintergedanken. Er wollte nicht mit Fiona schlafen, er wollte etwas tun, damit es ihr besser ging, und ihm war nicht klar gewesen, dass er sich genau so verhalten musste, als wolle er mit ihr schlafen, wenn er wollte, dass es ihr besser ging. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was das wieder zu bedeuten hatte.
Er erfuhr eine Menge über Fiona. Er erfuhr, dass sie die Schwangerschaft eigentlich gar nicht gewollt hatte und dass sie Marcus manchmal mit einer Heftigkeit hasste, die sie erschreckte. Er erfuhr, dass ihre Unfähigkeit, eine längerfristige Bindung einzugehen, ihr Sorgen machte. (Will widerstand der Versuchung, an dieser Stelle einzuwerfen, dass die Unfähigkeit, eine langfristige Bindung einzugehen, auf eine weit unterbewertete moralische Festigkeit hinweise, die nur coole Menschen aufbrächten.) Er erfuhr, dass ihr letzter Geburtstag ihr eine Todesangst gemacht hatte, weil sie nirgendwo gewesen war und nichts Besonderes gemacht hatte, der ganze übliche Humbug. Nichts davon war an sich besonders schwerwiegend, aber die vielen Kleinigkeiten summierten sich zu einer ausgewachsenen Depression, und nun musste sie mit etwas leben, das ihr die Kraft raubte und sie alles durch einen trübbraunen Schleier sehen ließ. Und er erfuhr, dass sie, falls man sie fragen würde, wo dieses Etwas lebte (Will fiel es schwer, sich eine unwahrscheinlichere Frage vorzustellen, aber daran zeigte sich nur wieder, wie verschieden sie waren), wohl sagen würde, es stecke in ihrer Kehle, weil es sie am Essen hinderte und ihr
ununterbrochen das Gefühl gab, gleich in Tränen auszubrechen - wenn sie nicht sowieso schon weinte.
Und das war es mehr oder weniger schon. Vor einer Sache hatte Will die meiste Angst gehabt, abgesehen davon, dass Fiona ihn nach dem Sinn fragen könnte (ein Thema, das gar nicht erst sein hässliches Gesicht zeigte, wahrscheinlich, weil aus seinem Gesicht und seinem Leben deutlich abzulesen war, dass er davon keine Ahnung hatte). Er hatte Angst davor gehabt, dass es einen echten Grund für dieses ganze Elend geben könnte, ein düsteres Geheimnis oder ein schlimmes Defizit, und er der einzige Mensch auf der Welt sei, der etwas dagegen machen könnte, und das würde er dann wohl müssen, obwohl er gar keine Lust dazu hatte. Aber es war ganz und gar nicht so; da war nichts - falls man das Leben mit seinen Enttäuschungen, Kompromissen und bitteren, kleinen Niederlagen als Nichts bezeichnen konnte. Und das konnte man wahrscheinlich nicht. Sie fuhren im Taxi zurück zu Fiona. Der Fahrer hörte GLR, und der DJ sprach über Kurt Cobain; es dauerte eine Weile, bis Will verstand, warum
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