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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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war mir in Bezug auf meinen Schlüssel noch nie gekommen. Aber beflissene Verkäuferin, die ich war, sagte ich: »Na klar. Absolut. Ich meine, ihr könntet hier die Kette kaufen und woanders einen Schlüssel, den ihr dranhängen könnt.«
    »Bingo!« Das Mädchen deutete auf einen kleinen Laden in der Nähe, wo alle möglichen Schlüssel, Schlüsselanhänger und Ähnliches verkauft wurden. »Super!«
    »Ihr solltet eine stabile Kette aussuchen«, erklärte ich ihr. »Aber andererseits auch nicht zu dick. Sie muss gleichzeitig filigran und solide sein.«
    Das Mädchen nickte. »Genau so etwas habe ich mir vorgestellt.«
    Zehn Minuten und fünfzehn Dollar später blickte ich den beiden nach, während sie mit einer unserer kleinen Einkaufstüten auf das Schlüssellädchen zusteuerten. Die Verkäuferin holte ein paar Schlüssel aus der Auslage und schob sie ihnen über die Glasfläche hinweg zu, damit sie sie genauer anschauen konnten.
    »Gut gemacht.« Harriet stellte sich neben mich. »Du hast es geschafft, ihr etwas zu verkaufen, obwohl wir nicht genau das führen, was sie wollte.«
    »Ihre Idee«, antwortete ich. »Ich bin bloß darauf eingegangen.«
    »Trotzdem. Es hat funktioniert, das ist die Hauptsache.«
    Ich blickte noch einmal zu dem Schlüsselladen hinüber. Das Mädchen im Anorak begutachtete soeben einen kleinen Schlüssel; ihr Freund und die Verkäuferin standen interessiert daneben. Zwischen unseren beiden Geschäften herrschte ständiges Kommen und Gehen, geschäftiges Treiben; deshalb musste ich mir fast den Hals verrenken. Aber ich wollte   – genau wie Harriet   – auf jeden Fall zusehen, wie sie den Schlüssel schließlich vorsichtig über den Verschluss schob und an unserer Kette entlanggleiten ließ. Einen Augenblick lang hing er da, drehte sich sanft um sich selbst. Dann umschloss sie ihn mit der Hand, sodass er unseren Blicken entschwand.
    ***
    Ich hatte gerade die Abzweigung durch den   – jahreszeitlich bedingt kahlen   – Grüngürtel Richtung daheim genommen, als ich den Vogel bemerkte.
    Zunächst war er nichts weiter als ein flüchtiger Schatten, der über mir vorbeizog, sodass es aussah, als würde es für den Bruchteil einer Sekunde dunkler. Erst nachdem er über die Bäume hinweggeflogen war und sein Umriss sich vor dem freien Himmel abzeichnete, konnte ich ihn richtig sehen. Er war
riesig
. Lang und grau und seine Flügel mussten eine enorme Spannweite haben. Gigantisch groß   – schwer vorstellbar, dass so ein Wesen überhaupt fliegen konnte.
    Einen Moment lang stand ich bloß da und sah zu, wie sein Schatten über der Straße davonschwebte. Erst als ich mich wieder in Bewegung setzte, fiel es mir schlagartig ein.
    Wegen der Reiher und anderer Wasservögel solltet ihr euch viel eher Sorgen machen
, hatte Heather uns erklärt.
Sie können in einer einzigen Sturzattacke wirklich gewaltigen Schaden anrichten.
    Niemals
, dachte ich, merkte aber, wie ich das Tempo unwillkürlich anzog, je mehr ich mich Coras Haus näherte, erst trabte, dann lief, schließlich rannte. Es war kalt, die frostige Luft prickelte und brannte in meinen Lungen; außerdem war mir klar, dass ich bestimmt idiotisch aussah. Dennoch setzte ich meinen Schweinsgalopp fort, nahm atemlos eine Abkürzung durch den Nachbargarten, raste an Coras Haus entlang nach hinten, auf die Wiese.
    Der Vogel war nicht zu übersehen. Er stand am flachen Ende des Teichs im Wasser. Seine Flügel waren noch leicht aufgefaltet, als wäre er eben erst gelandet (war er ja vermutlich auch). In einem Winkel meines Bewusstseins registrierte ich sogar, wie schön er war, dort im Licht des Sonnenuntergangs. Seine grazile Gestalt spiegelte sich elegant auf der Wasseroberfläche wider. Doch dann steckte er seinen riesigen Schnabel ins Wasser.
    »Halt!« Ich schrie, so laut ich konnte. Und das war   –
laut
! »Stopp! Hör auf!«
    Der Vogel zuckte zusammen, seine Flügel entfalteten sich noch etwas mehr, sodass es aussah, als schwebte er dicht über dem Boden. Doch ansonsten rührte er sich nicht vom Fleck.
    Und dann passierte erst mal gar nichts mehr. Die Sekunden dehnten sich endlos. Der Vogel stand mit ausgebreiteten Flügen da, ich gar nicht weit weg von ihm. Mein Herz pochte dröhnend in meinen Ohren. Ich hörte, wie ein paar Autos vorbeifuhren, irgendwo in der Nähe eine Tür zufiel. Doch in unserer unmittelbaren Nähe herrschte Stille.
    Mir war klar, dass der Vogel jeden Moment blitzartig zustoßen und sich einen Fisch angeln konnte,

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