About Ruby
wegfiel.«
»Befreiend«
, notierte ich.
Reggie meinte: »Weißt du, dass das ziemlich viel erklärt?«
Wie wahr
, dachte ich.
»Was soll das denn heißen?«, fragte Harriet ihn.
»Nichts«, antwortete er. Und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Was muss passieren, damit ihr euch nicht weiter anschweigt? Wann beschließt ihr, wieder miteinander zu reden?«
Harriet trank nachdenklich einen Schluck Kaffee. Schließlich meinte sie: »Mh . . . ich schätze, wenn irgendwer anderes irgendetwas falsch macht. Etwas, das noch schlimmer ist. Denn dann braucht man Verbündete, Leute, die auf deiner Seite sind. Also versöhnt man sich mit dem einen und ärgert sich gleichzeitig über jemand anderen.«
»Ein endloser Kreislauf«, warf ich ein.
»Kann schon sein.« Noch ein Schluck Kaffee. »Zusammenkommen,auseinanderfallen. Ist das nicht in allen Familien so? Ich meine, darum geht es doch, oder?«
»Nein«, antwortete Reggie. »Nur bei euch.«
Worauf beide in lautes Gelächter ausbrachen, als hätten sie noch nie etwas so Komisches gehört. Ich warf einen Blick auf mein Notizbuch. Alles, was ich bisher hingeschrieben hatte, war
»nicht miteinander reden
,
Trost
,
Quelle«
und
»befreiend«
. Diese Projekt würde mich noch einige Zeit kosten.
»Kunden im Anmarsch«, verkündete Harriet plötzlich und wies mit dem Kinn unauffällig auf einen Jungen und ein Mädchen – sie etwa in meinem Alter –, die sich beim Näherkommen eifrig miteinander unterhielten.
». . . gegen ein Sweatshirt mit einer Persianerkatze darauf?«, fragte der Junge, der ein bisschen moppelig war. Und seine Frisur stammte ganz eindeutig nicht vom Fachmann, sondern war Marke Eigenschnitt.
»Gar nichts, sofern sie siebenundachtzig ist und Nana heißt«, erwiderte das Mädchen. Sie hatte langes, lockiges Haar, das im Nacken zusammengebunden war, trug Cowboystiefel, ein knallrotes Kleid und einen kurzen, bauschigen Anorak, an dessen Ärmeln je ein Fäustling baumelte. »Ich meine, denk doch bitte
eine
Sekunde nach. Was genau willst du ihr damit sagen?«
»Keine Ahnung«, antwortete der Typ, während die beiden sich näherten. »Ich meine, ich mag sie, deshalb . . .«
»Und aus dem Grund schenkst du ihr kein Sweatshirt«, unterbrach ihn das Mädchen trocken. »Sondern Schmuck. Los, komm.«
Ich legte den Federstaubwedel beiseite, den ich in der Hand hielt, und richtete mich ein wenig auf. Die beiden standen nun schon fast vor unserer Boutique; das Mädchenließ ihren Blick bereits prüfend über die Reihen dünner Silberreifen in der Auslage wandern. »Hallo«, sagte ich zu dem Jungen, der, aus der Nähe betrachtet, noch jünger und linkischer wirkte; sein T-Shirt , auf dem
»ARMAGEDDON EXPO ’06: ARE YOU READY FOR THE END?«
stand, machte den unterbelichteten Gesamteindruck nicht gerade wieder wett. »Kann ich euch irgendwie helfen?«
»Wir brauchen etwas eindeutig Romantisches, etwas für Verliebte«, sagte das Mädchen, schnappte sich einen Ring und betrachtete ihn kurz prüfend, bevor sie ihn wieder an seinen Platz legte und sich dabei vorbeugte. Als von oben Licht auf ihr Gesicht fiel, wurden darauf feine Narben erkennbar. »Aber ich glaube, ein Ring wäre zu eindeutig und Ohrringe zu wischiwaschi. Die sagen überhaupt nichts aus.«
»Ohrringe sagen überhaupt nichts, Punkt«, murmelte der Junge. Er sog prüfend die Luft ein, roch die Räucherstäbchen, nieste und fügte hinzu: »Ohrringe sind leblose Gegenstände.«
»Und du bist ein hoffnungsloser Fall«, konterte sie und betrachtete nun eingehend die Halsketten. »Was ist mit deiner?«
Sie sah mir direkt ins Gesicht. Verdutzt erwiderte ich ihren Blick. »Bitte?«
Sie deutete mit dem Kinn auf meinen Hals. »Deine Kette. Gibt es die hier auch zu kaufen?«
»Äh . . .« Unwillkürlich wanderte meine Hand nach oben. »Eigentlich nicht. Wir haben allerdings Ketten in der Art sowie Anhänger, die man –«
Sie fiel mir ins Wort: »Aber mir gefällt vor allem die Idee mit dem Schlüssel.« Sie trat um den Tisch mit der Schmuckauslage auf mich zu. »Ist mal was anderes. Und man kann es auf unterschiedliche Weise deuten.«
»Du schlägst also allen Ernstes vor, ich soll ihr einen Schlüssel schenken?«, fragte ihr Begleiter.
»Ich schlage vor, du schenkst ihr eine
Möglichkeit
«, antwortete sie, allerdings ohne ihn anzusehen, denn sie beäugte schon wieder meine Kette mit dem Schlüssel. »Und das, wofür ein Schlüssel steht. Offene Tür, Chance, kapierst du?«
Der Gedanke
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