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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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sie holen«, antwortete ich.
    »Ich habe gesagt, du sollst nachschauen, wo sie sich rumtreiben«, erwiderte er. »Keinen Ringkampf anzetteln. Vor allem nicht mit ihm, er macht immer bloß Ärger. Lass mal sehen.«
    Er nahm meine Hand in seine, begutachtete die Kratzer. Seine Handfläche lag warm an der Unterseite meines Handgelenks. Weil er den Kopf geneigt hatte, konnte ich sämtliche Farbschattierungen seines Haars bewundern; sie reichten von Weißblond zu einem Gelbton bis hin zu einem Fast-Braun.
    »Sorry, ich hätte dich warnen sollen«, meinte er.
    »Schon gut. Bloß ein kleiner Kratzer.«
    Er hob den Kopf, sah mich an. Als ich merkte, wie nah wir einander waren, wurde ich plötzlich rot. Lyle beobachtete uns über Nates Schulter hinweg unverwandt; die Pupillen seiner gelben Augen weiteten sich erst, verengten sich dann wieder.
    Schlussendlich brauchte Nate geschlagene zwanzig Minuten, um Lyle in seine Box und anschließend ins Auto zu verfrachten. Zu dem Zeitpunkt saß ich längst drin und wartete mit den übrigen Katzen auf die beiden. Als Nate sich schließlich ans Steuer setzte, sah ich, dass seine Hände voller Kratzer waren.
    »Ich hoffe, du bekommst Schmerzensgeld«, meinte ich. Er ließ den Motor an.
    »Halb so schlimm, wenigstens bleiben nie Narben zurück«, antwortete er. »Außerdem kannst du es ihm letztlich nicht verübeln. Er hat eben überwiegend schlechte Erfahrungenmit Tierärzten gemacht, also warum sollte er Lust haben, sich hinkutschieren zu lassen?«
    Ich sah ihn von der Seite an, während er losfuhr und sich in den Verkehr einordnete. Von hinten her ertönte herzzerreißendes Maunzen. »Diese Haltung . . . ich komme einfach nicht dahinter.«
    Nate hob belustigt die Augenbrauen. »Hinter was?«
    »Dieses permanente positive Denken, dieses   – im aktuellen Fall   – Die-Katze-kann-nichts-dafür-wenn-sie-mich-zerfleischt-Ding. Ich meine, wie schaffst du das bloß?«
    »Was wäre denn die Alternative?«, fragte er. »Alles und jeden zu hassen?«
    »Nein.« Ich funkelte ihn an. »Aber du müsstest auch nicht jedes Mal automatisch die Partei der Gegenseite ergreifen.«
    »Und du müsstest nicht automatisch das Schlechteste erwarten. Nicht alle auf der Welt sind gegen dich.«
    »Meinst
du
«, präzisierte ich.
    »Der Punkt ist doch«, fuhr er fort, »hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, weder auf Menschen noch auf sonst irgendetwas bezogen. Also hat man die Wahl. Entweder man hofft das Beste oder rechnet fest mit dem Schlimmsten.«
    »Wenn man sich aufs Schlimmste einstellt, wird man zumindest nicht enttäuscht«, meinte ich.
    »Ja, aber wer mag so schon leben?«
    Ich zuckte die Schultern. »Leute, die sich nicht von psychopathischen Katzen zerfleischen lassen.«
    »Ja, aber
dir
ist es auch passiert.« Er zeigte triumphierend mit dem Finger auf mich. »Was bedeutet, dass du nicht zu der Sorte Mensch gehörst. Selbst wenn du wolltest.«
    Nach dem Gruppentermin bei der Tierärztin   – Lyle kratztesie, ihre Assistentin
und
eine arme, unschuldige Frau, die nichts ahnend im Wartezimmer saß und an nichts Böses dachte   – fuhren wir wieder zu Sabrina und ließen die Katzen in ihrer heimischen Umgebung frei. Von dort aus hießen die Stationen: Reinigung (wo wir tonnenweise Anzüge und Hemden in den Wagen luden), Apotheke (Wahnsinn, wie viele Menschen Antidepressiva nahmen   – wobei ich mir gewiss kein Urteil darüber anmaßen wollte) und Biosupermarkt, wo wir eine vorbestellte Weizen-, Eier- und glutenfreie Geburtstagstorte abholten, auf der »MARLA! ALLES GUTE ZUM 40.« stand.
    »Vierzig Jahre ohne Weizenmehl oder Eier?«, fragte ich, als wir mit der Torte bei einer Villa mit Säulen vor dem Eingang ankamen. »Macht bestimmt keinen Spaß.« »Fleisch isst sie auch nicht«, erwiderte Nate. Zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, sichtete die Schlüssel. Als er den gefunden hatte, den er brauchte, steckte er ihn ins Schloss, öffnete die Tür. »Oder sonst irgendwelche verarbeiteten Produkte. Sie benutzt sogar veganes Shampoo.«
    »Du kaufst Shampoo für sie?«
    »Wir kaufen alles für sie. Sie ist permanent unterwegs. Zur Küche geht es hier lang.«
    Ich folgte ihm. Das Haus war riesig und extrem unaufgeräumt. Auf sämtlichen Arbeitsflächen in der Küche stapelte sich Post, neben der Hintertür türmten sich Tüten mit Recycling-Kram, die Leuchtdiode am Anrufbeantworter blinkte wie verrückt, ein eindeutiges Zeichen für: kein Speicherplatz mehr.
    »Für jemanden, der so

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