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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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strenge Ernährungsregeln hat, ist sie aber ziemlich chaotisch«, sagte ich. »Was mich überrascht. Ich hätte erwartet, dass sie eher zu der Sorte Menschen gehört, die ständig zwanghaft aufräumen müssen.«
    »Bis zu ihrer Scheidung war sie auch so.« Nate nahm mir die Schachtel mit der Torte aus der Hand und stellte sie in den Kühlschrank. »Doch seitdem kommt sie leider irgendwie immer mieser drauf.«
    »Ah, deshalb das Xanax«, meinte ich, denn just in diesem Moment holte er eine Packung aus der Apothekentüte und platzierte sie auf der Küchentheke.
    »Glaubst du?«
    Ich wandte mich um, deutete auf den Kühlschrank, der mir schon beim Reinkommen aufgefallen war: Jede Menge Fotos von diversen Hollywoodschönheiten in Bikinis klebten daran. Darüber hing ein Zettel, auf den jemand mit dickem schwarzem Filzstift »IMMER SCHÖN DENKEN VORM ESSEN« geschrieben hatte. »Ja«, antwortete ich. »Sie ist bestimmt ganz schön . . . sagen wir mal angespannt.«
    »Vermutlich.« Nate warf einen flüchtigen Blick auf die Fotos am Kühlschrank. »Hab sie nie kennengelernt.«
    »Echt?«
    »Klar, warum nicht?«, erwiderte er. »Das ist doch genau der Punkt. Wir bieten ihnen einen Service, aber sie brauchen sich nicht mit uns abzugeben. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, erledigt sich ihr Kram wie von selbst. Und dafür bezahlen sie.«
    »Trotzdem krass«, meinte ich. »Ihr bekommt so einen intensiven Einblick in die Privatsphäre anderer Leute. Überleg doch mal, wie viel wir jetzt schon über sie wissen   – nur weil wir in ihrer Küche stehen und uns alles anschauen können.«
    »Mag sein. Andererseits
kennt
man niemanden wirklich, nur weil man mal in seinem Haus war oder mitkriegt, was er alles so hat. Das ist doch bloß ein winziger Ausschnitt aus seinem Leben. Ein Mensch ist viel mehr als das.« Nate schnappte sich seinen Schlüsselbund, den er auf der Küchenthekeabgelegt hatte. »Komm. Wir haben noch vier Stationen vor uns, bevor wir für heute Schluss machen können.«
    Ich muss zugeben, der Job war nicht einfach, jedenfalls nicht so einfach, wie es nach außen hin vielleicht den Anschein hatte. Aber irgendwie gefiel er mir trotzdem. Was womöglich daran lag, dass er mich an die Zeit bei
Commercial Couriers
erinnerte: zu fremden Häusern fahren, Sachen ausladen und abgeben . . . Wobei Nate und ich auch oft hineingingen in die Häuser und Zeug abholten, was diesen Job natürlich von dem bei
Commercial Couriers
unterschied. Allerdings erhielt man dadurch eben Einblick in das Leben anderer Menschen, und das war schon spannend. Man schaute in ihre Kleiderschränke, ihre Garagen, kriegte mit, was für Cartoons sie an ihre Kühlschränke klebten. Und egal, wie verschieden die Leute waren   – ein paar Sachen waren überall gleich.
    Unser letztes Ziel war ein Apartmenthochhaus mit einer voll durchgestylten, sauberen Lobby. Unsere Schritte hallten laut wider, während ich das letzte Teil aus der Reinigung hinter Nate her durch den riesigen Eingangsbereich trug.
    »Und was läuft hier so?«, fragte ich ihn, als wir in den Aufzug stiegen. Ich zog den Lieferschein unter der Plastikfolie hervor, damit ich den Namen darauf lesen konnte. »Wer ist P.   Collins?«
    »Ein Rätsel«, antwortete er.
    »Ach ja? Inwiefern?«
    »Wirst du gleich sehen.«
    Wir fuhren bis in den siebten Stock. Nate ging den langen Flur mit lauter identischen Türen etwa bis zur Hälfte entlang, holte seinen Schlüsselbund heraus, öffnete die Tür, vor der er stehen geblieben war. »Nach dir«, meinte er.
    Ich trat ein. Das Erste, was mir auffiel, war die Stille. Und zwar war es nicht einfach bloß still, wie an einem leeren Ort, sondern es fühlte sich hohl an, wie eine verlassene Einöde, obwohl die Wohnung komplett möbliert war. Lauter schicke, moderne Teile. Sie sah aus wie direkt aus
Schöner Wohnen
oder so. Perfekt, bis ins letzte Detail.
    »Wow!« Mehr sagte ich zunächst nicht. Nate nahm mir das Teil von der Reinigung, das ich getragen hatte, ab und verschwand damit in einem Schlafzimmer rechts von uns. Ich trat an die breite Fensterfront; man hatte einen Blick über die ganze Stadt und weit darüber hinaus. Als stünde man auf dem Gipfel eines Berges, ja des ganzen Planeten. »Der reine Wahnsinn!«
    »Stimmt.« Nate kehrte ins Zimmer zurück. »Deshalb ist es ja auch so komisch, dass, wer auch immer hier wohnt, nie da ist.«
    »Muss er doch sein, wenigstens ab und zu«, erwiderte ich. »Sonst bräuchte er schließlich keine

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