About Ruby
schnell eine Rolle –« Cora war schon halb im Raum, sprach noch mit jemandem, der hinter ihr im Flur stand, da unterbrach sie sich mitten im Satz, mitten in der Bewegung. Denn sie hatte Roscoe und mich auf dem Fußboden entdeckt. »Hey du«, meinte sie sanft. »Was ist los?«
»Nichts«, antwortete ich. Cora schloss die Tür hintersich. Roscoe rappelte sich auf, wedelte mit dem Schwanz. »Ich brauchte bloß mal eine kurze Pause.«
»Aber nicht in deinem Kleiderschrank.«
»Die Waschküche war näher.«
Sie streckte die Hand aus, nahm eine Rolle Küchentücher von dem Regal über der Waschmaschine. »Gibt jetzt schon Flecken auf dem Teppich.« Sie riss die Plastikverpackung auf. »Wie jedes Jahr.«
»Aber ansonsten klingt es so, als wäre eure Party ein voller Erfolg«, meinte ich. Ein paar Gäste liefen vor der Tür vorbei, ihre Stimmen hallten von den Wänden des Flurs wider.
»Das stimmt.« Sie wandte sich mir zu. Die Papiertücher hielt sie im Arm. »Du solltest rauskommen, wenigstens was essen. Und ich verspreche dir, auch sonst ist es nicht nur furchtbar.«
»Mir ist nicht richtig nach Feiern zumute«, antwortete ich.
Sie lächelte. »Kann ich verstehen. Wobei man sagen muss, du hast dich bisher tapfer geschlagen. Und eine Spielverderberin bist du auch nicht. Dabei ist Weihnachten mit Jamie härter als jedes Konditionstraining. Ein echter Ausdauertest. In meinem ersten Jahr bin ich fast zusammengebrochen.«
»Es fühlt sich bloß so komisch an«, sagte ich, »weil ich letztes Jahr . . .« Ich unterbrach mich, denn mir wurde schlagartig bewusst, dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnerte, was ich letztes Jahr über die Feiertage getrieben hatte. Vage erinnerte ich mich noch daran, dass ich vermutlich verloren gegangenes Gepäck ausgefahren hatte. Und vielleicht hatte bei
Commercial Couriers
ja eine Weihnachtsparty für die Mitarbeiter stattgefunden . . .? Doch alles verschwamm wie in einem Nebel – was übrigens für so gut wiealles galt, das mit meinem alten Leben zusammenhing. Es war verblasst, ewig weit weg. »Ich denke, ich bin einfach bloß müde.«
»Bitte, sag nur kurz Hallo. Wenigstens ein paar Leuten«, meinte Cora. »Dann kannst du dich wieder hier verkriechen, oder auch in deinem Kleiderschrank. Von mir aus für den Rest des Tages, wenn du möchtest. Einverstanden?«
Sie streckte mir auffordernd die Hand entgegen. Ich blickte sie zweifelnd an, ließ jedoch zu, dass sie mich hochzog. Folgte ihr hinaus auf den Flur. Zwei Schritte später standen wir in der Küche und gerieten sofort in einen Hinterhalt.
»Cora! Hi!« Ich zuckte erschrocken zusammen. Eine zierliche Brünette in einem Zweiteiler aus fließendem weißen Stoff tauchte plötzlich wie aus dem Nichts vor uns auf; ihre Haare hatte sie im Nacken zusammengefasst, in der Hand trug sie ein Weinglas. »Schöne Feiertage!«
»Schöne Feiertage!«, antwortete Cora und beugte sich vor. Die Frau küsste sie leicht auf die Wange, hinterließ dabei eine Spur Lippenstift. »Barbara, das ist meine Schwester Ruby. Ruby – Barbara Starr.«
»Du hast eine Schwester?« Barbara trug mehrere bunte Halsketten, die sanft über ihrem Dekolleté schaukelten und bei jeder ihrer Bewegungen aneinanderklackerten, so wie auch in diesem Moment, als sie sich nun mir zuwandte. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Ruby ist für eine Zeit lang zu uns gezogen, aber erst seit Kurzem«, meinte Cora. Und fuhr, an mich gewandt, fort: »Barbara ist Schriftstellerin. Bestseller-Autorin, um genau zu sein.«
»Hör auf.« Barbara winkte lässig ab. »Du bringst mich noch in Verlegenheit.«
»Sie war eine meiner ersten Mandantinnen«, erklärte Cora. »Ich kam frisch von der Uni und arbeitete in einer Kanzlei, die auf Familienrecht spezialisiert ist.«
»Aha«, sagte ich.
»Es ging um meine Scheidung.« Barbara trank einen Schluck aus ihrem Weinglas. »Ein Vergnügen ist das nie. Aber dank deiner Schwester war es zumindest die beste Scheidung, die ich je hatte. Und das will was heißen.«
Ich warf Cora einen leicht befremdeten Blick zu. Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf, signalisierte mir auf diese Weise, ich solle bloß nicht nachfragen, was das zu bedeuten habe. Ich hätte jedoch ohnehin nichts sagen können, denn sie kam mir zuvor: »Ruby und ich sollten jetzt besser mal nachschauen, ob noch genug zu essen da ist, wenn du uns deshalb –«
»Alles ist absolut wunderbar, Essen, Trinken, nette Menschen . . . Ich liebe die Feiertage!« Barbara
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