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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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gedacht, dass ich je jemandem einen Vortrag über Freundschaft (Einführung und Teil Eins) halten würde. Und dann auch noch ausgerechnet Gervais Miller!?
Und
dass er mir dabei sogar leidtun würde. Aber als er mich nun bekümmert ansah und wie ein geprügelter Hund zur Tür schlich, war es genau so: Er tat mir leid.
    »Na gut.« Seine Stimme klang ganz niedergeschlagen. Hoffnungslos. »Ich verstehe.«
    Er drehte den Türknauf, öffnete die Tür. Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden stand ich vor einer kniffeligen Entscheidung. War hin- und hergerissen. Doch dieses Mal stand längst nicht so viel auf dem Spiel. Für Nate konnte ich vielleicht nichts tun. Aber es gab offenbar schon jemandem, dem ich helfen konnte.
    »Wie wär’s mit Folgendem?«, sagte ich. Er drehte sich langsam zu mir um. »Ich engagiere dich.«
    »Du engagierst mich?«
    »Als Tutor. Ich bezahle dir die übliche Rate, du ziehst dein Ding durch, wie bei jedem, dem du Nachhilfe gibst. Falls wir uns zufällig während der Mittagspause treffen und zufällig Olivia dabei ist, dann ist es eben so. Aber es gehört nicht zu unserem Deal. Ist das klar?«
    Er nickte so eifrig, dass sein Brillengestell wackelte. »Absolut.«
    »Also dann . . . schöne Weihnachten.«
    »Schöne Weihnachten«, antwortete er. Verließ das Haus, war schon halb die Stufen runter, ehe er sich noch einmal zu mir umdrehte. »Übrigens berechne ich zwanzig Dollar pro Stunde. Für Nachhilfe.«
    Alles andere hätte mich auch gewundert. »Werde ich die Matheprüfung bestehen?«, erkundigte ich mich.
    »Garantiert«, antwortete er. »Meine Methode hat sich noch bei jedem bewährt.«
    Ich nickte überrumpelt. Er lief weiter, zu seinem Roller, nahm seinen Helm vom Lenker, setzte ihn auf. Vielleicht war das nur einer von vielen schweren Fehlern, die ich bereits begangen hatte. Aber irgendwann braucht eben jeder mal ein bisschen Hilfe, egal ob er es nun zugeben will oder nicht.
    ***
    »Immer hereinspaziert!«, rief Jamie aus, als das nächste Trüppchen Leute hereingeschneit kam. Ihr Geschnatter hallte laut von der hohen Decke des Eingangsbereichs wider. »Willkommen. Getränke sind hinten, zu essen gibt es auch jede Menge. Hi, gebt mir eure Mäntel . . .«
    Ich lehnte mich an den Rahmen der Tür zur Waschküche. Dort hatte ich mich zusammen mit Roscoe verkrochen, seit Jamies und Coras »Tag der offenen Tür zwischen den Jahren« seinen Lauf nahm. Echt, was für ein Riesenevent. Meine Aufgabe bestand eigentlich darin, dafür zu sorgen, dass stets genug Eis im Kübel war und die Musik den Partylärm übertönte. Das tat ich auch alles brav. Aber nicht mehr als unbedingt notwendig. Ansonsten mischte ich mich nicht richtig unter die Leute.
    Doch als ich nun sah, wie Jamie, den Arm voller Mäntel, sich suchend umschaute, wusste ich natürlich, dass ich mich fairerweise aus meinem Versteck hervorwagen und ihm hätte helfen müssen, sie ins obere Stockwerk zu tragen und irgendwo abzulegen. Doch ich tat nichts dergleichen, sondern rutschte mit dem Rücken am Trockner entlang aufden Fußboden, hockte mich halbwegs bequem hin, schob die Tür mit dem Fuß zu. Roscoe, der sich im Gegensatz zu mir nicht freiwillig hier aufhielt, sondern zu seinem eigenen Besten in die Waschküche verbannt worden war   – er wäre bei dem Rummel sonst durchgedreht   –, sprang sofort von seinem Lager auf und gesellte sich zu mir.
    Ich hatte seit Heiligabend, also seit zwei Tagen, von Nate nichts mehr gehört oder gesehen. Was noch vor kurzer Zeit vollkommen undenkbar gewesen wäre; ganz abgesehen davon, dass wir Nachbarn waren und uns daher fast automatisch über den Weg liefen, waren wir uns auch sonst ständig begegnet, sei es absichtlich oder zufällig. Vielleicht lag es ja auch bloß daran, dass Ferien waren, wir nicht jeden Morgen zusammen zur Schule fuhren und beide viel zu tun hatten. Es war nämlich nicht einmal nach Weihnachten ruhiger geworden, weder in seinem noch in meinem Job. Doch selbst falls das alles stimmte   – ich hatte trotzdem das deutliche Gefühl, dass er mir aus dem Weg ging.
    Was schon an sich ziemlich erstaunlich gewesen wäre; doch noch mehr wunderte, ja schockierte mich, dass es mir so viel ausmachte. Schließlich hatte ich mir doch genau das gewünscht: Abstand zwischen uns, weniger Nähe und Verbundenheit. Doch nun, da dieser Zustand hergestellt war, machte ich mir mehr Sorgen um ihn als je zuvor.
    In dem Augenblick öffnete sich die Tür. »Einen Moment, ich hole bloß

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