About Ruby
ich mechanisch.
»Das ist dein letztes Schuljahr«, meinte er. Ich blinzelte verwirrt und versuchte mich zu entscheiden, ob ich erleichtert sein oder noch nervöser werden sollte. »Das vergangene Halbjahr war zwar nicht dein bestes – was natürlich nicht deine Schuld ist –, aber bei den Zulassungsprüfungen, die du ja bereits letztes Jahr absolvieren musstest, hast du ganz passable Ergebnisse erzielt.
Und
du bist die Sache überhaupt angegangen, was an sich schon nicht schlecht ist. Ich war gerade bei der Schüler- und Studienberatung. Obwohl wir schon November haben, denken sie, dass wir die Bewerbungsfristen noch einhalten können, vorausgesetzt, wir beeilen uns jetzt.«
»Du warst bei der Schüler- und Studienberatung?!«, fragte ich.
»Ja«, erwiderte er. Ich wirkte anscheinend ziemlich verdutzt, denn er fügte hinzu: »Ich weiß, ich weiß. Eigentlich ist so was eher Coras Ding. Aber sie hat die ganze Woche über Gerichtstermine, und außerdem dachten wir uns, es wäre vielleicht . . .«
Er unterbrach sich plötzlich. Ich betrachtete ihn aufmerksam, doch er sprach nicht weiter.
»Ihr dachtet euch, es wäre vielleicht – was?«, bohrte ich nach.
Jamie wirkte plötzlich verlegen. »Dass es vielleicht besser wäre, wen ich das Thema mit dir anschneide. Weil Cor ziemlich streng mit dir war, als es um deinen Job und die Therapie ging. Sie ist es leid, ständig die Böse zu sein.«
In mir stieg prompt das Bild einer grausam lächelnden Lady hoch, wie aus einem banalen Actionfilm, die ungerührt zusieht, während ihre Handlanger ein armes Würstchen an irgendwelchen Bahngleisen festbinden. »Ehrlich gesagt, habe ich mit Studium nichts am Hut«, meinte ich.
»Warum nicht?«
Darauf hätte ich vermutlich eine Antwort parat haben sollen, war aber auch noch nie danach gefragt worden. Die meisten Leute gingen genauso selbstverständlich wie ich selbst davon aus, dass Mädchen wie ich gerade mal ihren Highschool-Abschluss schafften – wenn überhaupt. Und das war’s dann mit der akademischen Ausbildung. »Es ist so . . .« Ich hielt inne, suchte nach einer plausiblen Erklärung. »Es stand auf meiner Prioritätenliste eben nie sehr weit oben.«
Jamie nickte langsam. »Aber es ist auch noch nicht zu spät, das zu ändern«, meinte er.
»Ich denke schon.«
»Und falls nicht?«, konterte er. »Hör mal, Ruby, es ist selbstverständlich deine eigene Entscheidung, das steht außer Frage. Aber bis zum Frühjahr ist es noch lange hin. In der Zwischenzeit könnte sich einiges ändern. Sogar du deine Meinung.«
Woraufhin ich gar nichts mehr sagte. Der Schülerparkplatz hatte sich mittlerweile weitgehend geleert; nur ein paar Mädchen mit Hockeyschlägern und Sporttaschen hockten noch auf der Bordsteinkante.
»Folgender Vorschlag«, meinte Jamie schließlich. »Alles, was ich möchte, ist, dass du dich wenigstens bewirbst. Auf die Weise verbaust du dir die Chance nicht von vornherein. Im Frühjahr kannst du dann frei entscheiden, was du als Nächstes tun willst. Aber du hättest einfach eine weitere Option.«
»Woher willst du denn wissen, dass ich tatsächlich irgendwo angenommen werden würde? Ganz schön optimistisch.«
»Ich habe deine Zeugnisse gesehen. Du bist keine schlechte Schülerin.«
»Aber kein Superhirn.«
»War ich auch nicht«, antwortete er. »Im Gegenteil, lass uns die Karten wirklich alle offen auf den Tisch legen: In deinem Alter hatte ich ebenfalls keinen Bock aufs Studieren oder irgendeine weiterführende Ausbildung. Nach der Highschool wollte ich mit meiner Gitarre nach New York abhauen, um in diversen Kneipen zu spielen und auf einen Plattenvertrag zu hoffen.«
»Ehrlich?«
»Ja.« Lächelnd fuhr er mit der Hand übers Steuerrad. »Aber meine Eltern wollten nichts dergleichen hören. Ich sollte aufs College gehen, egal ob ich wollte oder nicht. Also landete ich da, beziehungsweise genau hier, auf unserer Uni,mit der festen Absicht, mich so bald wie möglich zu verkrümeln. Im ersten Seminar, das ich belegte, ging es darum, wie man Computer programmiert.«
»Und der Rest ist Geschichte«, sagte ich.
Er verneinte. »Nö. Der Rest ist die Gegenwart.«
Ich spürte, wie sich der Griff meiner Hand um meinen Rucksackriemen lockerte, sodass er sanft auf den Boden zwischen meinen Beinen glitt. Ich mochte Jamie, so einfach war das. Mochte ihn sogar so sehr, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als ehrlich zu ihm sein zu können. Ihm den wahren Grund zu verraten, warum mir
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