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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Großzügigkeit umgeben zu sein. Früher musste ich mit einer Packung Spaghetti mehrere Tage lang auskommen und mühsam sämtliches Kleingeld zusammenkratzen, um einkaufen gehen zu können; jetzt konnte ich mich nach Lust und Laune aus einer wohlgefüllten Speisekammer oder einer Tiefkühltruhe bedienen, in der so ziemlich jede Sorte Fertiggericht lagerte, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Das »Taschengeld«, das Jamie mir ständig zuzustecken versuchte, noch nicht einmal mit eingerechnet: zwanzig Dollar hier fürs Mittagessen, noch mal vierzig da, falls ich irgendwelchen Kram für die Schule brauchte. Jemand anderer als ich hätte das möglicherweiseangenommen, ohne sich groß einen Kopf deswegen zu machen. Aber ich war immer noch auf der Hut, weil ich mir nicht sicher war, was als Gegenleistung von mir erwartet wurde. Darum lehnte ich jegliches Geld zunächst kategorisch ab. Doch er blieb so hartnäckig, dass mein Widerstand im Laufe der Zeit bröckelte. Wobei, das Geld dann auszugeben, wäre noch einmal eine ganz andere Sache gewesen, als es anzunehmen. Ich fühlte mich besser, wenn ich es erst mal wegpackte und gut verwahrte. Schließlich weiß man nie, wann sich etwas   – oder alles   – schlagartig verändern kann.
    Auch Cora war Kompromisse eingegangen. Nach endlosen Diskussionen, bei denen Jamie dankenswerterweise meine Partei ergriff, wurde endlich offiziell beschlossen, dass ich bis zu den Feiertagen für Harriet arbeiten durfte; danach würden wir uns »wieder zusammensetzen« und »überprüfen, inwiefern, und wenn ja, wie der Job meine Zensuren und schulischen Leistungen beeinflusste«. Zu dem Pakt gehörte außerdem, dass ich wenigstens einmal zu einem Therapeuten gehen musste. Worauf ich echt nicht scharf war. Doch da ich die Einnahmen brauchte, biss ich mir auf die Zunge, hörte auf zu protestieren und gab nach. Wir besiegelten das Ganze tatsächlich per Handschlag: Cora hielt mir die Hand über die Küchentheke hinweg hin, ich ergriff und schüttelte sie. Ihre Hand war klein und kühl und der Druck fester, als ich erwartet hätte. Jedenfalls überraschte mich das vermutlich mehr, als angemessen war.
    Ich dachte oft an meine Mutter, seltsamerweise sogar öfter als zu Beginn, nachdem sie gerade erst verschwunden war. Als hätte es eine Weile gedauert, bis ich sie wirklich vermisste oder das Gefühl überhaupt zuließ. Manchmal träumte ich von ihr und wachte hinterher immer mit demGefühl auf, sie wäre gerade durchs Zimmer gegangen. Ich bildete mir fest ein, ich könnte ihr Parfum noch riechen, oder dass Zigarettenrauch in der Luft hing. Es kam außerdem vor, dass ich im Halbschlaf gelegentlich überzeugt war, sie säße auf meiner Bettkante und würde mir übers Haar streichen. So wie sie es manchmal spät in der Nacht oder morgens früh tatsächlich getan hatte. Damals hatte mich das eher genervt; ich wollte, dass sie selbst schlafen ging oder zumindest mich in Ruhe ließ. Doch jetzt blieb ich immer ganz still liegen und wünschte mir, das Gefühl möge andauern. Obwohl der bewusste, rationale Teil meiner selbst genau begriff, dass das Ganze ein Traum war.
    Wenn ich aufwachte, versuchte ich daher immer, dieses Gefühl, dieses Bild von ihr irgendwie festzuhalten, aber es gelang mir nie. Stattdessen sah ich nur eins vor mir: wie sie ausgesehen hatte, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, am Tag vor ihrem Verschwinden. Ich kam gerade aus der Schule; sie war ausnahmsweise sowohl wach als auch allein gewesen. Zu dem Zeitpunkt lief es bereits seit geraumer Zeit ziemlich mies zwischen uns, deshalb rechnete ich fest damit, dass sie mich total verpennt und neben der Spur ansehen würde, wie immer, wenn sie ein paar Bier getrunken hatte. Oder traurig. Oder gereizt. Doch als sie den Kopf drehte, um mich anzuschauen, wirkte sie . . . überrascht. Ich weiß noch, dass ich mich in dem Moment fragte, ob sie bis dahin endgültig vergessen hatte, dass ich existierte. Oder mit meiner Rückkehr überhaupt nicht mehr gerechnet hatte. Als wäre ich diejenige gewesen, die fortging, und hätte es bloß noch nicht gewusst.
    Tagsüber, wenn es hell war, betrachtete ich die ganze Sache nüchterner, objektiver. Fragte mich, ob sie es nach Florida geschafft hatte. Noch mit Warner zusammen war.Vor allem aber dachte ich darüber nach, ob sie je im gelben Haus angerufen oder sich anderweitig bemüht hatte, mich aufzuspüren. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich mit ihr reden oder sie sehen wollte. Hatte

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