Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
Urväter in grauer Vorzeit, »muß so geehrt werden, als hätte er die ganze Welt gerettet.«
Ich erwarte keinen Dank dafür, aber ich will hiermit kundtun, daß ich am vergangenen Montag die Welt gerettet habe. Und das kam so: Ich war voll Ehrfurcht und Demut nach Jerusalem gepilgert, um unser Parlamentsgebäude zu besuchen, hauptsächlich in der Absicht, am dortigen Büffet eines der erstaunlich billigen Sandwiches zu erstehen. Es bedurfte einiger Ellenbogenstrategie, um mich durch die Menge zu drängen, welche die Theke belagerte. Plötzlich aber kam mir ein ungewöhnlicher Gedanke: Wenn ich schon hier bin, könnte ich doch von der Besuchergalerie einen kurzen Blick ins Plenum werfen, wo das Schicksal der Nation und gelegentlich auch dasjenige der ganzen Welt bestimmt wird. Ich pflichtete mir bei, drehte mich um und ging der Stille nach, bis ich das Hohe Haus betrat, das mitten in seiner verantwortungsvollen Arbeit war.
Bei meinem Eintreten befanden sich genau zwanzig Leute im Plenum. Zwölf davon waren Saalordner. Ferner erblickte ich einen Vorsitzenden und fünf Abgeordnete. Einer hatte das Rednerpult besetzt, und zwei weitere starrten zur Decke. Die zwei nicht starrenden Abgeordneten sortierten ihre Post und erzählten einander Witze. Der Parlamentsstenograph tat seine Pflicht und der diensthabende Minister die seine: der Vorsitzende war halb eingeschlafen, der Minister ganz. Der Abgeordnete am Rednerpult dürfte schon über eine Stunde lang das ehrwürdige Plenum angesprochen haben, und ich begann mich zu wundern, welche inneren, geheimnisvollen Kräfte diesen kleinen Mann wohl beseelen müßten, daß er in diesem Vakuum seinen Standpunkt vertreten konnte. Ich versuchte mein Bestes, den Sinn des von ihm Vorgetragenen aufzunehmen, aber nach einer Weile erinnerte mich seine Rede mehr und mehr an das Tropfen eines rostigen Wasserhahns: »Es ist viel zu plop . . . plop .. . plop«, hörte ich, »denn plop .. . plop ... plop Maßnahmen gegen plop . . . plop . . . plop zu ergreifen . . .«
Ich lauschte mit geschlossenen Augen und war im Begriffe einzuschlafen, als plötzlich eine Welle des Mitleids mein jüdisches Herz überwältigte. Der Abgeordnete war ein vertrocknetes Männchen jenseits von Gut und Böse, hatte bereits die meisten tonangebenden Haare verloren, und nach seinen traurigen Augen zu schließen, handelte es sich um einen ergebenen Gatten und musterhaften Familienvater. Hier stand er nun und redete sich den Mund fusselig in dem Bewußtsein, daß abgesehen von dem gut geölten Parlamentsstenographen kein Mensch von seiner Existenz Notiz nahm.
Entwürdigend, fürwahr. Wie gesagt, eine Welle tiefen, menschlichen Mitgefühls riß mich mit. Ich stand auf und wandte mich an den Redner:
»Entschuldigen Sie«, rief ich, »wie können Sie nur so einen Blödsinn daherreden?«
»Ich habe feste Beweise in der Hand«, sagte der Abgeordnete, indem er mich durchdringend ansah, »ich würde Ihnen daher empfehlen, mit Ihren Äußerungen etwas vorsichtiger umzugehen!«
Sein welkes Gesicht begann vor Glück zu strahlen. Seine traurigen Augen begannen zu leuchten, er reckte sich und vertiefte sich mit neuer Kraft in seine Rede. Er verwandelte sich schlagartig, wie jedermann hätte sehen können, wenn er dagewesen wäre, in einen ganz neuen Menschen. Einer der Abgeordneten hörte sogar auf, seine Post durchzugehen, und der Minister wachte für einen Augenblick auf und kratzte sich hinter dem Ohr. Ich erhob mich und verließ das Hohe Haus im stolzen Bewußtsein eines verspäteten Pfadfinders, der seine tägliche gute Tat vollbracht hat.
Dolmetscher
Dieser Tage stellte die beste Ehefrau von allen so nebenbei fest, daß kein Joghurt mehr im Hause sei – nicht nur ein wesentlicher Bestandteil meines Frühstücks, sondern auch ihrer Schönheitspflege –, also begab ich mich eilends zu unserem Lebensmittelhändler um die Ecke, wo ich mitten in eine erregte Streiterei hineinplatzte.
Mein Nachbar Jechskel brüllte mit hochrotem Kopf den Lebensmittelhändler an, worauf jener in einer Lautstärke zurückbrüllte, die sogar einem Abgeordneten der Opposition zur Ehre gereicht hätte. Eine zusätzliche Komplikation ergab sich daraus, daß der Lebensmittelhändler in gutem Hebräisch fluchte, während Jechskel seine Verwünschungen ungarisch hervorstieß, die einzige Sprache, die er einigermaßen beherrscht.
»Ich habe ein Dutzend Eier von ihm verlangt«, erklärte mir Jechskel in unserer tatarischen Muttersprache, »und
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