Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
Klingelzeichen: ›Mach keine blöden Witze‹, neun: ›Wollen wir heute abend ins Kino gehen? Ich habe gehört, daß der neue Woody-Allen-Film recht komisch sein soll.‹ Zehnmal: ›Schon gesehen, mich hat er eher gelangweilt.‹ Achtzehnmal: ›Was hast du gesagt? Sprich ein bißchen deutlicher, Mädl, ich kann dich nicht verstehen.‹ Zweiundzwanzigmal klingeln: ›Gib nicht so an!‹ Fünfundzwanzigmal: ›Schon gut, Hortensia, von mir aus, geh mit Simon, mir kann es nur recht sein.‹ Einunddreißigmal: ›Ich? Eifersüchtig? Mach dich nicht lächerliche Zweiunddreißigmal: ›Merk dir endlich, ich bin schließlich kein Baby mehr!‹ Siebenundfünf zigmal: ›Nein?‹ Und so weiter bis zum neunzigsten Klingelzeichen, und das bedeutet: ›Glaub ja nicht, daß ich auf dich angewiesen bin, hallo, warte einen Moment, häng nicht auf! Zum Teufel, jetzt hat sie auf gehängt!‹«
»Wirklich nicht schlecht«, mußte ich zugeben. »Aber wie kannst du wissen, daß Hortensia und nicht jemand anderer anruft?«
»Dumme Frage«, lächelte mich Jossele an. »Ich hebe den Hörer erst nach dem neunzigsten Klingelzeichen ab.«
»Hält denn jemand überhaupt solange durch?«
»Aber klar. Schließlich sind wir eine staatliche Institution.«
Karriere
Aaron Weinreb war das schwarze Schaf in der Familie. Seinem Vater, einem angesehenen Inhaber einer blühenden Wechselstube, kamen die ersten Bedenken in bezug auf seinen Sohn, als dieser nicht wie alle anderen kleinen Buben mit Murmeln spielte, sondern sich im zarten Alter von fünf Jahren in die Küche begab und den Mixer auseinandernahm, um zu sehen, woraus er gemixt war. Auch die liebende Mutter zeigte Besorgnis:
»Das Kind ist zu intelligent«, drängte sie ihren Gatten, »unternimm irgend etwas.«
Papa Weinreb besorgte seinem Kind in Windeseile eine Raketenpistole mit Supermankleidung und nahm ihn zu Fußballspielen mit, jedoch ohne Erfolg. Aaron war ein unverbesserlicher kleiner Intellektueller. In der Schule fühlte er sich wohl wie ein Fisch im Wasser, war ständig der Klassenerste und verbrachte die Tage damit, seine Nase in dicke Bücher zu stecken. Die Zukunft schien düster, wahrhaftig. Eines Tages setzte sich Papa Weinreb hin, um mit seinem Sohn ein Gespräch von Mann zu Mann zu führen:
»Mein Junge«, begann er, »es ist eines Vaters Pflicht, seinen Sohn zu warnen. Wenn du dich nicht bald änderst, wird es ein schlimmes Ende mit dir nehmen. Du gehörst einer guten und angesehenen Familie an, deren Mitglieder durchwegs respektable Positionen erreicht haben. Dein Onkel Moses ist ein prominenter Grundstücksmakler, Onkel Avigdor ein überdurchschnittlicher Steuerberater, und was mich betrifft, so bin ich, wie du wohl weißt, ein allseits geschätzter Wucherer. Auch deine Brüder zeigen vielversprechende Anlagen: Amitai wird demnächst Teilhaber des Nachtlokals, in dem er derzeit als Barmixer arbeitet, und Micky hat als diplomierter Tierstimmenimitator einen großen politischen Aufstieg vor sich. Nur du, mein Junge, verschwendest deine Zeit mit Büchern. Willst du, Gott behüte, Gelehrter werden? Du? Ein Sohn Weinrebs – Gelehrter?«
Aaron senkte schweigend sein Haupt und überließ seine Eltern ihrer Verzweiflung.
Seine Mutter weinte nachts in ihre Kissen: »Er wird noch als Bettler enden«, schluchzte die untröstliche Frau. »Mein armer Aaron wird sich mit einem Hungerlohn durchschlagen müssen. Er wird weniger verdienen als eine Putzfrau.«
»Das kann man nicht so genau wissen«, versuchte ihr Gatte sie zu beschwichtigen. »Vielleicht wird er einmal eine große Familie haben und mehr staatliche Kinderbeihilfe beziehen als jede ledige Raumpflegerin.«
Mama Weinreb startete ihren letzten Versuch:
»Also gut«, sagte sie zu ihrem mißratenen Sohn. »Wenn du schon unbedingt studieren mußt, dann tu mir den Gefallen und werde wenigstens Gynäkologe.«
Aaron aber war an diesem Metier gar nicht interessiert. Was er schon immer werden wollte – und zwar seit dem Tag, da er zum ersten Mal mit dem Mixer in Fühlung kam – war Physiker.
»Es ist alles deine Schuld«, warf Mama Weinreb ihrem Gatten vor. »Du hast ihm damals erklärt, wie der Motor in deinem Wagen funktioniert. Einmal hast du ihn sogar die Kerzen reinigen lassen.«
»Ich habe doch gehofft, aus ihm einen Taxifahrer mit regelmäßigem, steuerfreiem Trinkgeldeinkommen zu machen«, gestand der alte Weinreb mit gebrochener Stimme. »Wie hätte ich je ahnen sollen, daß der Lümmel studieren
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