Abraham Lincoln - Vampirjäger
Doch zwei Jahrzehnte, in denen er immer wieder Menschen, die er liebte, hatte begraben müssen, forderten ihren Tribut. Als die Monate dahingingen und Robert heranwuchs, schien Abe zunehmend besessen von dem Gedanken, er könnte seinen Sohn verlieren, sei es aufgrund einer Krankheit oder irgendeines Unfalls. Seine Tagebucheinträge zeugen von etwas, das er seit Jahren nicht mehr getan hatte: Er begann wieder mit Gott zu verhandeln.
Mein einziger Wunsch ist es, ihn zu einem Mann heranwachsen zu sehen. Seine eigene Familie an meinem Grabe versammelt zu haben. Sonst nichts. Ich würde glücklich jede Unze meines eigenen Glücks für seines eintauschen. Meine eigene Erfüllung für seine geben. Bitte, Herr, lass ihm kein Leid zustoßen. Lass ihm kein Unglück widerfahren. Wenn du jemals jemanden zu strafen wünschst, ich bitte dich – lass es mich sein.
Gemäß seinem Wunsch, Robert heranwachsen zu sehen, und in der Hoffnung, das Glück, das er im Eheleben gefunden hatte, aufrechtzuerhalten, traf Abe im Herbst 1843 eine schwere Entscheidung.
Mein Tanz mit dem Tode muss ein Ende haben. Ich kann weder riskieren, Mary ohne Ehemann zurückzulassen, noch Robert ohne Vater. Ich habe Henry heute Morgen geschrieben und ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr länger auf meine Axt zählen kann.
Nach zwanzig Jahren des Kampfes gegen die Vampire war die Zeit gekommen, seinen langen Mantel für immer an den Nagel zu hängen. Und nach acht Jahren im Parlament des Bundesstaats war auch der Moment gekommen, der ihm endlich Anerkennung bringen sollte.
1846 wurde er zum Kandidaten der Whigs für den Kongress der Vereinigten Staaten ernannt.
ACHT
»EIN GROSSES UNGLÜCK«
Der wahre Maßstab, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob man etwas ergreift oder verwirft, besteht nicht darin, ob etwas Böses daran ist, sondern darin, ob es mehr vom Bösen als vom Guten hat. Es gibt nur wenige Dinge, die ganz und gar böse oder ganz und gar gut sind.
Abraham Lincoln, in einer Rede im Repräsentantenhaus
am 20. Juni 1848
I
Als Abe sich Ende 1843 von der Vampirjagd zurückzog, ließ er einen von Henrys Aufträgen unerledigt.
Ich erwähnte es beiläufig in Briefen an Armstrong und Speed, und beide äußerten (wie ich es insgeheim gehofft hatte) das Interesse, ihn zu Ende zu bringen. Da beide noch immer relative Neulinge in der Kunst der Vampirjagd waren, hielt ich es für ratsam, sie zusammenarbeiten zu lassen.
Joshua Speed und Jack Armstrong begegneten sich zum allerersten Mal am 11. April 1844 in St. Louis. Falls Speeds Brief (den Abe drei Tage später erhielt) irgendein Anhaltspunkt ist, dann verlief das Treffen nicht gerade gut.
Entsprechend der Anweisung in Deinem Brief trafen wir uns gestern Mittag in der Taverne auf der Market Street. Deine Beschreibung [von Armstrong] war präzise, Abe! Er ist mehr Stier als Mann! Breiter als eine Scheune und stärker noch als Samson persönlich! Aber Du hast versäumt, zu erwähnen, dass er außerdem ein echter Hundesohn ist. Stark wie ein Baum, aber dumm wie Stroh. Verzeih, wenn ich das sage, denn ich weiß, er ist Dein Freund, aber in den ganzen dreißig Jahren meines Lebens habe ich keinen unsympathischeren, streitlustigeren, humorloseren Mann getroffen! Es ist offensichtlich, warum Du ihn rekrutiert hast (aus demselben Grunde, aus dem man einen großen, dämlichen Ochsen rekrutiert, um einen schweren Karren zu ziehen). Aber warum Du – ein Mann von hervorragendem Geist und Charakter – seine Gesellschaft aus einem anderen Grunde dulden solltest, werde ich nie verstehen.
Armstrong brachte seine Eindrücke von Speed zwar niemals zu Papier, aber sehr wahrscheinlich wären sie ähnlich unschmeichelhaft ausgefallen.
Der wohlhabende, fesche junge Mann aus Kentucky war geistreich und gesprächig, alles Eigenschaften, die Armstrong selbst beim härtesten Mann als lästig empfunden hätte. Doch Speed war zudem eher schmächtig, keiner, der anpacken konnte, genau die Art von »Dandy«, den die Clary’s-Grove-Jungs bedenkenlos in ein Fass gesteckt und den Sangamon hinuntergeschickt hätten.
Nur aus Respekt vor Dir, lieber Freund, waren wir bereit, unseren Groll gegeneinander zu vergessen und den Auftrag zu erledigen.
Ihre Zielperson war ein namhafter Professor namens Dr. Joseph Nash McDowell, Dekan der medizinischen Fakultät am Kemper-College.
Henry hatte mich [vor McDowell] gewarnt. Der Doktor sei ein »besonders paranoides Exemplar«, sagte er. So paranoid, dass er zu jeder Zeit einen
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