Abraham Lincoln - Vampirjäger
weilen. Von ihnen umgeben zu sein. Nicht nur da ich Sklaverei für eine Sünde halte, sondern auch weil sie mich an all das erinnern, was ich lieber vergessen möchte.
Abe und Joshua Speed unterhielten sich tagelang. Sie sprachen über Großbritanniens Macht; über die Dampfmaschine. Und sie sprachen über Vampire.
»Ich schäme mich, es sagen zu müssen, aber auch mein eigener Vater machte Geschäfte mit diesen Teufeln«, gestand Speed. »Für Männer seines Rangs waren sie nie ein Geheimnis und ein nur dürftig gehütetes in meinem Elternhause. Meine Brüder ließen sich einspannen in die Bemühungen meines Vaters, ihre Gunst zu gewinnen.«
»Also verkaufte er ihnen Neger?«
»Die Alten und Schwachen für gewöhnlich. Für ihn war es ein doppelter Segen – ein Weg, unnütz gewordene Sklaven loszuwerden und daraus noch Profit zu schlagen. Ein- oder zweimal verkaufte er auch einen jungen Burschen oder ein junges Ding mit Kind. Die brachten einen höheren Preis ein, weil sie mehr Bl…«
»Genug! Wie kannst du so von ihnen sprechen? Von Menschen wie von Vieh reden, das zum Schlachter geführt wird?«
»Wenn ich den Eindruck erweckt habe, dass ich ihr Morden auf die leichte Schulter nehme, bitte ich um Verzeihung. Das tue ich nicht, Abe. Noch habe ich es je getan. Im Gegenteil, Vampire sind der Hauptgrund dafür, dass ich nie die warmherzige Achtung meines Vaters suchte und über sein Dahinscheiden kaum eine Träne vergoss. Wie hätte ich diese Machenschaften auch akzeptieren können, wo ich ständig die Schreie von Männern und Frauen im Ohr hatte, an denen man sich gütlich tat, nur damit er seine Taschen füllen konnte? Wo ich durch die Ritzen zwischen Holzbrettern hindurch in die Gesichter dieser Dämonen schaute? Wenn ich all das nur aus meiner Erinnerung bannen könnte … wenn ich Buße tun könnte für das, was dort geschah, dann würde ich es weiß Gott tun.«
»Dann tu Buße dafür.«
Es bedurfte nicht viel, um Speed zu überreden. Man brauchte ihm lediglich sagen, dass die Vampirjagd sowohl gefährlich als auch aufregend sei, ganz wie das wilde Grenzland aus seiner Fantasie. Wie zuvor mit Jack 26 , teilte ich auch mit ihm all mein Wissen – brachte ihm bei, wie und wann er zuschlagen musste; trainierte mit ihm, um sein Selbstvertrauen aufzubauen. Wie Jack war auch er voller Ungeduld, zu begierig darauf, sich Hals über Kopf in den Kampf zu stürzen. Doch während Jack immer auf seine Körperkraft vertrauen konnte, wenn es darum ging, den Sieg davonzutragen, war dies bei dem schmächtigen Speed nicht der Fall. Ich versuchte, ihm die ungeheure Stärke und Schnelligkeit der Vampire einzuschärfen; wie gefährlich nah er dem Tode sein würde. Ich fürchte, er begriff es nicht zur Gänze. Und doch war sein feuriger Eifer so groß, dass ich mich erneut für die Jagd begeistern konnte.
26 Jack Armstrong hatte sich entschieden, in Clary’s Grove zu bleiben, als Abe nach Springfield zog, und damit de facto ihre kurze Partnerschaft beendet.
Abe fasste einen wagemutigen Plan, einen, der seinen unerfahrenen Freund einem Minimum an Risiko aussetzen und gleich sechs Fliegen mit einer Klappe schlagen würde. Gegen Ende August schickte Joshua Speed jeweils ein Schreiben an sechs frühere Geschäftspartner seines Vaters, alles regelmäßige Käufer von überflüssig gewordenen Sklaven. Und allesamt Vampire.
Als der Tag gekommen war, war ich voll Sorge. Wie hatte ich bloß so unbesonnen handeln können? Sechs Vampire! Und das mit einem Neuling als Partner! Wie ich mir wünschte, mehr Zeit zu haben! Wie ich mir wünschte, Jack an meiner Seite zu haben!
Aber es war zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Sechs Männer hatten sich bereits zusammen mit Joshua Speed auf der Veranda des Aufseherhauses 27 versammelt – ein graubärtiger Mann von siebzig Jahren, ein jungenhafter Kerl kaum in seinen Zwanzigern und vier weitere, die mittleren Alters waren. Alle trugen sie dunkle Brillen und Sonnenschirme.
27 Ein Haus mit vier Zimmern auf den Ländereien von Farmington, etwa eine halbe Meile vom Hauptgebäude entfernt.
Speed hatte arrangiert, dass sich einige Neger in der Nähe des Hauses versammelten, und sie angewiesen, »vergnügte Gospelgesänge« anzustimmen. Ihr Singen und Klatschen war so laut, dass man kaum etwas anderes hören würde, wenn man auf der Veranda stand. Wie von uns geplant, bat Speed die Vampire einen nach dem anderen ins Haus, nahm ihr Geld entgegen und führte sie zu dem Festessen, das
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