Abraxmata
Gefühl, einen runden Raum zu umlaufen und immer wieder an der gleichen Stelle anzukommen, auch wenn er in der Schwärze dort unten keinen wirklichen Orientierungssinn hatte. Langsam begann er zu begreifen, dass der Raum, in dem er sich befand, ein Gefängnis war, sein Gefängnis. Sein Verdacht bestätigte sich, als er in die Erde an einer Stelle eine kleine Kerbe grub und dann, nachdem er in einer Richtung an der Wand entlanggelaufen war, ziemlich schnell wieder an seiner Markierung ankam. Sofort schoss ihm Abraxmata wieder durch den Kopf, vielleicht war auch er Gefangener des Morgentauwaldes. Aber konnte man Abraxmata überhaupt so einfach einsperren? Und war er überhaupt Gefangener des Morgentauwaldes und nicht Gefangener einer einzigen Person, die es schaffte, alle im Reich der Wälder in Angst und Schrecken zu versetzen? Verzweifelt warf sich Chamor mit seinem Körper gegen die Erdmassen und fing an zu schreien. Er rastete aus; vor Wut, nichts tun zu können, und aus Angst, aus diesem Gefängnis nicht mehr lebend herauszukommen. Als er seinen Körper mit Ausnahme des Kopfes nicht mehr spürte, sank er weinend in einer Ecke zu Boden. Das durfte alles nicht wahr sein. Das hier war sein schlimmster Albtraum.
Hevea erstarrte vor Schreck, als ihre beiden Begleiter im wahrsten Sinne des Wortes vom Erdboden verschluckt waren. Im ersten Moment dachte sie an eine einfache Falle, ein Loch, das irgendjemand gegraben und dann sorgfältig mit Blättern bedeckt hatte, um irgendwelche Vögel oder Ähnliches zu fangen, und dann stürzte sie Murus und Chamor blind nach.
Es ging etliche Meter nach unten, aber der Schacht war so eng, dass Murus, der nach dem ersten Schreck zunächst auch im freien Fall nach unten gestürzt war, seine großen Flügel nicht richtig ausbreiten konnte, um den Schwung abzufangen, und so immer wieder taumelte und von einer Ecke der Wand an die andere gestoßen wurde. Murus konnte sich selbst kaum helfen, wie hätte er da etwas für Chamor tun sollen. Der Aufprall seines Körpers tat einen lauten Schlag.
Hevea hatte ihren Fall durch das Ergreifen einer Wurzel abbremsen können. Plötzlich huschten kleine dunkle Gestalten am Boden herum, und sie erkannte, dass sie ihre Freunde und Abraxmata nur retten konnte, wenn sie ihre Flucht nach oben antrat.
Die Blätterdecke über ihr hatte sich wieder geschlossen und nur wenig Tageslicht drang ein. An einer Stelle, die ihr etwas heller schien, begann sie sich mit aller Kraft durch das Pflanzenwerk zu bohren. Sie spürte die Schmerzen durch die Dornen, die ihren Körper verletzten und ihre Flügel zerschnitten. Die Pflanzendecke schien ihr jetzt mehrere Meter dick.
Sie kam nur sehr langsam voran. Verzweifelt legte sie eine Pause ein. Die grünen Blätter, Stiele, Wurzeln, Schlingen und Dornen hielten sie wie in einer Zange fest, als sie sich ihr tränenüberströmtes Gesicht abwischte. Wie im Treibsand strampelte sie sich nach oben, ohne merklich von der Stelle zu kommen. Am Strang einer dicken, holzigen, lianenartigen Schlingpflanze zog sie sich ohne Rücksicht auf Verluste ein gutes Stück weiter. Sie hatte die Orientierung vollkommen verloren und war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch auf dem Weg nach oben war, oder sich einfach quer und parallel zur Oberfläche durch das mehr als dichte Gestrüpp wand. Die Luftfeuchtigkeit zwischen den Pflanzen war so hoch, dass Hevea trotz der eher kalten Außentemperaturen enorm zu schwitzen begann. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob die Idee abzuhauen und die Freunde im Stich zu lassen wirklich klug gewesen war. Woher sollte sie wissen, wo sie sie nachher finden sollte? Und an wen konnte sie sich wenden, wenn man niemandem mehr Vertrauen schenken konnte? Sie wurde von einem panikartigen Gefühl des Alleinseins erfasst. Dieses Gefühl wurde stärker als alle körperlichen Schmerzen, die ihr die grünen Monster antaten.
Ein plötzliches belebendes, angenehmes Gefühl umströmte ihren Finger und zog sich dann weiter durch ihren kleinen Körper, auch wenn der noch zwischen dem Grün feststeckte. Jetzt war es nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis sie sich ganz befreit hatte. Sie hatte sich sehr viele Wunden zugezogen, sodass sie eigentlich gar nicht mehr hätte fliegen können, aber die Situation gab ihr so viel Kraft, dass man ihr von den Verletzungen kaum etwas anmerkte.
Murus sah jede Menge schwarze Gestalten auf sich zukommen. Es waren so viele, dass man schon fast von einer Armee
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