Abschaffel
Körpers. Sie erinnerten ihn an die weißen Rücken älterer Herren im Freibad. Auch auf deren Rücken gab es einzelne bizarre Haare, die schon lange standen und durch das Hin- und Hergeschobenwerden unter dem Unterhemd gebeugt oder geknickt waren. Abschaffel nahm das Wurstbrot in die Hand und ging in das Zimmer. Wenigstens dunkel war es inzwischen geworden. Er öffnete die Balkontür und legte sich auf das Bett. Wahrscheinlich onanierte er demnächst. Liegend rauchte er eine Zigarette und wußte nicht, was er denken sollte. Sollte er morgen seine armen Eltern besuchen und ihnen sagen, daß er zu oft an sie dachte? Er onanierte nicht mehr gern, aber leider wirkte sich sein Unwille nicht aus. Früher, vor zehn oder mehr Jahren, hatte er phantastische Welten in seinem Kopf geschaffen, während er es tat. Da trafen sich die Frauen aus der Nachbarschaft und tranken gemeinsam Kaffee in einem kleinen engen Zimmer. Abschaffel war so klein wie ein Hund, und er hatte eine Leine um den Hals. Die Frauen waren verrückt darauf, das Hündchen mal auf den Schoß zu nehmen, und so rutschte der kleine Hund von einem Schoß zum anderen, und wenn die Frauen genug hatten, setzten sie den Hund auf den Boden herunter und schimpften auf eine gespielte Weise mit ihm; aber es dauerte nie lang, dann wollten sie das putzige Hündchen wieder auf dem Schoß haben. Aber diese Geschichten waren uralt, und Abschaffel phantasierte sie nicht mehr. Wenn er heute onanierte, erinnerte er sich an einzelne Frauen und Mädchen, die er tatsächlich gekannt hatte und die ihm einst die Möglichkeit gegeben hatten, tatsächlich sexuell mit ihnen umzugehen. Er aber in seiner Verwirrung und Angst war damals nicht auf diese Angebote eingegangen, und diesen verpaßten Gelegenheiten onanierte er manchmal heute noch nach. An diesem frühen Abend benutzte er eine Geschichte, die genau vierzehn Jahre zurücklag. Damals, mit siebzehn, war er mit einer Jugendgruppe mit dem Bus in Berlin gewesen. Eine Woche lang hatte ihn ein ebenfalls siebzehnjähriges Mädchen sentimental angeschaut, und er hatte sentimental zurückgeblickt. Überall drängte sie sich an seine Seite und fragte ihn alles, wovon sie glaubte, daß er es wissen mußte. Aber er merkte, daß er das Mädchen nicht leiden mochte. Von Tag zu Tag baute er mehr Distanzierungen in sein Verhalten ein. Denn mit siebzehn hatte Abschaffel noch geglaubt, das Leben wählen zu können, insbesondere die Frau für das Leben glaubte er wählen zu können. Und dieses Mädchen war in den damals noch engeren Maschen seiner Ansprüche hoffnungslos hängengeblieben. Sie sprach einen breiten Dialekt, der ihn abstieß. Wahrscheinlich stammte sie aus einem Weinort in der Pfalz oder aus einem südhessischen Arbeiterdorf. Sie war geschmacklos gekleidet und hatte immer fettige Haare. Aber in der Nacht der Rückfahrt bestieg sie vor ihm den Bus und reservierte ihm neben sich einen Platz. Er erkannte, daß sie Vorbereitungen für eine Knutschnacht traf. Der ganze erotische Druck hätte in der Nacht der Rückfahrt angenehm entweichen können. Aber steil wie das Denkmal seiner eigenen Borniertheit war Abschaffel an dem für ihn reservierten Platz vorbeigegangen und hatte sich ganz hinten zu einer Gruppe johlender, siebzehnjähriger Affen gesetzt. Aus, Schluß. Nun erinnerte er sich onanierend wieder dieses Mädchens, und mit Hilfe vorübergehend glaubhafter Phantasien korrigierte er sein damaliges Verhalten; er setzte sich neben sie, er knutschte sie eine halbe Nacht lang ab und zog sie halb aus. Und als sie morgens aus dem Bus stiegen, müde und verrückt vor Verlangen, verdrückten sie sich in einen menschenleeren Park und vögelten endlich zusammen. Da kam es ihm schon.
Er lag still da und sah die Balkontür hinaus. Sein Geschlecht war rasch wieder klein geworden, und Abschaffel fragte sich, ob es nun ewig so weiterging, daß er verpaßten Gelegenheiten immer wieder seinen langsam alt werdenden Samen hinterherspritzen mußte. Tatsächlich war die Onanie für ihn nur noch die flüchtige, gespielte Jagd auf eine Beute, die unwiederbringlich verloren war. Und während er es tat, fühlte er sich als Häscher, dem das Opfer noch einmal durch den Kopf reitet. Aber die Jagd gelang nur für die Dauer eines sexuellen Traums, der von der Energie der Trauer allerdings jederzeit neu entfacht werden konnte. Weil das gedachte Heranholen der entwischten Beute durch und durch traurig war, hatte Abschaffel die Idee, daß er während des Onanierens
Weitere Kostenlose Bücher