Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
sie. Sechs oder sieben, sagte er, und ich dachte, es wäre gut, Sie anzurufen, weil ich ja weiß, äh, weil ich angenommen hatte, daß Ihr Mann wahrscheinlich nichts darüber gesagt hat. Nein, sagte sie, das hat er nicht, das tut er nie. Haben die Kollegen denn Ihre Frauen dabei? fragte sie nach. Nein, antwortete er, und er ahnte, was sie hören und wissen wollte, und weil er einen Plan hatte, gab er ihr das Futter, nach dem ihre Angst verlangte. Zuletzt habe ich Ihren Mann im Auto einer Kollegin gesehen, sagte er; mit dieser Frau ist er weggefahren. Es entstand eine Pause. Frau Hornung schien zu überlegen, ob sie einfach fragen sollte, was er bösartig offengelassen hatte. Wußte er, ob diese Kollegin ein Verhältnis mit ihrem Mann hatte? Oder ob sich, vielleicht am heutigen Abend, eine Geschichte entwickelte? Oder wie oder was. Er kam dem Ausdruck ihrer Panik entgegen und sagte: Ich meine, ich kann jederzeit auf einen Sprung bei Ihnen vorbeikommen und Ihnen die Sache erklären. Ja, ist gut, sagte sie, kommen Sie. Ich setze mich in ein Taxi und bin in einer Viertelstunde bei Ihnen, sagte er. Machen Sie kein Licht im Treppenhaus und sind Sie bitte so leise wie möglich, sagte sie. Gut, sagte er, bis später. Er legte auf.
    Während Hornung glaubte, er versorge seinen Goldhamster, wollte er seiner Frau die Kleider vom Leib reißen, mit ihr schlafen und dabei das Gefühl haben, Hornung selbst zu schänden. Morgen früh, wenn sie wieder alle im Büro saßen, wollte Abschaffel die Gewißheit haben, daß Hornung der schandbarste Tropf auf dieser Welt sei. Mochten sie ruhig spöttische Bemerkungen über sein rasches Nachhausegehen machen, er würde doch jeden Augenblick wissen, warum es gut war, auf die Geburtstagsnächte der Angestellten zu verzichten.
    Er saß in einem Taxi und fuhr nach Höchst. Die Straßen waren ruhig, und der Taxifahrer fuhr schnell. Er dachte darüber nach, warum sie ihn gebeten hatte, kein Licht und keinen Lärm zu machen. Wahrscheinlich wollte sie ihren Besuch vor anderen Hausbewohnern möglichst verheimlichen. Vielleicht schloß sie auch die Möglichkeit nicht aus, daß sie selbst, und zwar mit Hilfe von Abschaffel, ihren Mann einmal kränken könnte. Sie, die von ihm schon so oft durch unerklärtes Fernbleiben gedemütigt worden war und sich nicht wehren konnte, weil sie es war, an der jeden Abend in der Wohnung der Alltag klebenblieb, sie, die vielleicht sogar von ihrer eigenen Furchtsamkeit am meisten beleidigt war, sie erhielt mit Abschaffels Besuch vielleicht die Möglichkeit, eine kleine, tiefgehende Intimrache zu vollstrecken, die um so wohltuender sein könnte, als zum Gefühl der Rache noch das Gefühl der Überlegenheit dazukam.
    Das Taxi hielt vor dem Block, in dem Hornungs wohnten, und Abschaffel erkannte, daß Frau Hornung an allen erkennbaren Fenstern die Plastikrolladen heruntergelassen hatte. Nervös bezahlte er den Taxifahrer, und als er auf das Haus zugehen wollte, sah er, daß im Treppenhaus Licht brannte. Er wollte ihre Bitten um Verheimlichung auf jeden Fall einhalten. Er wandte sich von dem Haus ab und verdrückte sich auf den gegenüberliegenden Bürgersteig. Er wartete, bis das Treppenhaus dunkel war, dann ging er hinüber und klingelte. Es schepperte in der Haussprechanlage, und Frau Hornung sagte: Hallo? Ich bin’s, sagte er, und nannte seinen Namen. Sie drückte auf den Summer, und er trat ins dunkle Treppenhaus. Es war still. Seine Brille beschlug leicht, und er drückte sie ein wenig auf der Nase nach unten, damit er über den oberen Brillenrand hinwegsehen konnte. Frau Hornung öffnete fast geräuschlos die Wohnungstür und schloß sie rasch hinter ihm. Sie legte sich den gestreckten Zeigefinger auf die geschlossenen Lippen und wies auf die Tür des Kinderzimmers. Er bewegte sich so leise, wie es ihm nur möglich war. Sie bat ihn in das Wohnzimmer. Auf dem niedrigen Couchtisch standen zwei ausgeschenkte Cognacs. Er setzte sich auf die Couch, und sie nahm ihm gegenüber in einem Sessel Platz. Sie hatte sich Lippen und Augen geschminkt. Er begann sofort, den Verdacht gegen Hornung, den er am Telefon selbst in die Welt gesetzt hatte, wieder abzuschwächen. Es sollte nicht heißen können, daß er gesagt hätte, Herr Hornung hätte ein Verhältnis mit Frau Schönböck. Er mußte vorsichtig sein. Im Taxi war ihm eingefallen, daß Frau Hornung schon einmal im Büro gewesen war, um etwas Wahrhaftiges über ihren Mann herauszufinden. Er bemühte sich, die Teilnahme an

Weitere Kostenlose Bücher