Abschaffel
Fräulein Schindler stieg am Opernplatz zu. Abschaffel setzte sich nach hinten neben den Lehrling, und Fräulein Schindler stellte ihren Freund vor. Er hieß Vierneisel und war Effektensachbearbeiter bei der Chase Manhattan Bank. Er war jung und schlank und trug einen dunklen Seidenschal im offenen Hemd. Wir gehen in ein Verbrecherlokal, sagte Fräulein Schindler fröhlich zu ihm und fuhr wieder an. Die Anwesenheit von Herrn Vierneisel machte Abschaffel noch älter. Fast alles, was Herr Vierneisel sagte, sagte er in begeistertem Ton. Er erzählte, daß er heute zweimal mit Amerika telefoniert hatte, und in der verstärkenden Art, mit der Fräulein Schindler die Erlebnisse ihres Freundes aufnahm, redeten sie über die beiden Telefonate so, als sei Herr Vierneisel heute zweimal selbst in Amerika gewesen. Die Art, wie sie zurückfragte und sich erkundigte, mußte er als Verlockung empfinden, sich weiter selbst darzustellen. Offenbar kannten sich die beiden noch nicht allzulange. Und wie war’s bei dir? fragte Herr Vierneisel. Wie immer, sagte Fräulein Schindler.
Das Lokal, von dem Hornung glaubte, es sei ein Treffpunkt der Unterwelt, war eine mittelgroße, heruntergekommene Wirtschaft. Auf den Tischen gab es keine Tischdecken, an den Fenstern keine Gardinen. Links, erhöht auf einem Podest, saß der INTERNATIONALE ALLEINUNTERHALTER STEFANO und spielte auf einem Akkordeon. Er sah aus wie eine Leberwurst mit Brille und spielte unablässig. Der Kellner war ein zitternder, schmaler Mann, der ständig zwischen den Tischen herumwirbelte. An der Theke standen ein paar Männer, die sich umdrehten, als Fräulein Schindler mit ihrer Gruppe das Lokal betrat. Hornung, Frau Schönböck, Frau Hannemann und der Lehrling Moser waren schon da. Abschaffel war erleichtert, als er sah, daß Frau Schönböck und Hornung an der hinteren Stirnseite des Tischs saßen. Er ließ Fräulein Schindler, Herrn Vierneisel und Bosch vor sich aufrücken, so daß er von Frau Schönböck und Hornung beruhigend weit entfernt saß. Allerdings befand er sich dafür an der Seite von Herrn Vierneisel, und ihm gegenüber hatte sich Frau Hannemann niedergelassen. Der Kellner kam an den Tisch, und tatsächlich nahm er die Bestellungen abweisend und störrisch entgegen, wie Hornung es vorausgesagt hatte. Wenn Kellner freundlich sind, dann sind sie entweder schwul oder verklemmt, erläuterte er, als der Kellner den Tisch verlassen hatte. Was redete Hornung wieder für ein Zeug? Abschaffel bemühte sich, nicht hinzuhören. Er sah dem Alleinunterhalter zu. Der Mann hätte blind sein können, so sehr war er desinteressiert an den Ereignissen des Lokals. Aus einem langen Gang, der in die Küche führte, kam der Kellner hervor und trug auf großen Tellern die Bestellungen auf den Tisch. Hornung hatte Rippchen mit Kraut bestellt, und als er seine Portion vor sich sah, sagte er: Was gut ist, kommt wieder. Frau Schönböck und Frau Hannemann lachten. Der Kellner hatte jedem seine Bestellung hingeknallt, und als er sich rasch entfernen wollte, fragte ihn Frau Hannemann: Können Sie nicht ein bißchen freundlicher sein? Der Kellner drehte sich um und sagte: In dieser Bude hier? Ich arbeite, bis ich durchsichtig bin, das genügt. Er wandte sich ab und ging hinter die Theke. Mit dem Rücken zur Wirtschaft löffelte er stehend einen Teller Suppe aus, der neben einem verschmierten schwarzen Telefon stand. STEFANO spielte La Paloma, und Hornung summte leise mit. Frau Hannemann zerschnitt vorsichtig ihr Wiener Schnitzel. Im Sommer kann ich gut essen, im Winter nicht, sagte sie; im Winter muß mein Magen so viel kalte Luft schlucken, und das tut ihm nicht gut. Abschaffel schwieg. Herr Vierneisel fragte, ob dies wirklich ein Verbrecherlokal sei, und Hornung wies nickend auf die Männer an der Theke und sagte, er hätte hier schon mal einen Nadelstreifentyp mit schwarzem Hut gesehen, und er hätte genau gewußt, daß der Mann im Vorstand einer Autoschieberbande gewesen sei. Frau Hannemann war bei Professor Grzimek angelangt; das Thema Vogelfang in Italien konnte nicht mehr weit sein. Abschaffel überlegte, wie er es anstellen konnte, sich von den Kollegen abzusetzen. Auf keinen Fall wollte er mit ihnen eine Nacht durchmachen, wie sie es nannten. Er glaubte, daß sein Gesicht wie Teig auseinanderging, und er faßte sich an die Wangen. Er war überzeugt, daß ihm eigentlich eine Entschädigung dafür zustand, weil er diesen Abend aushielt. Aber wo konnte man eine Entschädigung für
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