Abschaffel
einem Geburtstag als allgemeine Kollegenpflicht darzustellen, und er behauptete sogar, daß ihr Mann den Abend wahrscheinlich lieber zu Hause bei ihr verbracht hätte. Da irren Sie sich, sagte sie knapp; wenn es nach meinem Mann ginge, könnten gar nicht genug Geburtstage gefeiert werden, und am besten immer ohne mich. Sie haben doch gesagt, er ist mit einer Frau weggefahren? Er versuchte, Hornung zu entlasten, und erklärte, es sei wahrscheinlich Zufall gewesen, daß gerade er im Auto dieser Kollegin saß, denn sie wollten ohnehin nur in die nächste Kneipe fahren. Ach so, sagte sie. Ich kann natürlich nicht beschwören, sagte er, daß sie das auch wirklich gemacht haben. Beide hatten ihre Cognacs schon ausgetrunken, und Frau Hornung schenkte nach. Gerade wollte Abschaffel einen weiteren Anlauf machen, Hornung vom Ehebruchsverdacht zu befreien, da sah er hinter der Tür Gersthoffs Präsentkorb stehen. Dieser Anblick, nein, dieser Hornung. Er sah einige Sekunden schweigend hin und überlegte, wie er reagieren sollte. Wahrscheinlich wußte noch nicht einmal Frau Hornung, daß ihr Mann diesen Korb in der Firma gestohlen hatte. Er beschloß, zum Thema Präsentkorb nichts zu sagen. Dafür wuchs seine Wut auf Hornung ins beinahe Unermeßliche an. Was für ein mieser kleiner Leichenschänder, der einen überflüssig gewordenen Freßkorb einfach mitnimmt und ihn zu Hause zum allgemeinen Verzehr freigibt. Wahrscheinlich stammte sogar der Cognac, von dem Abschaffel soeben das dritte Glas trank, aus dem Korb. Und wie sich dieser kleine Betrüger in den kleinen betrügerischen Situationen des Lebens auskannte! Tagelang war er sicher darin gewesen, daß die Sprachlosigkeit der Verdächtigen der sichere Grund dafür war, daß der Verdacht nicht von den Sprachlosen gewichen war. Frau Hornung war aufgestanden und hatte Radiomusik eingeschaltet. Sie stand vor dem Büfett und sah auf den Boden. In diesen Augenblicken war Abschaffel ganz sicher, daß Hornung die Schändung verdient hatte. Sie zog die Hausschuhe aus und stieß mit dem großen Zeh ihres rechten Fußes in den Teppichboden. Gestern habe ich eine leere Orangensaftflasche im Zimmer stehenlassen, sagte sie, und am Abend waren durch die geschlossene Balkontür unheimlich viele Ameisen ins Zimmer gekommen, die in einer schnurgeraden Linie in die leere Orangensaftflasche hineinliefen. Ich habe die Flasche sofort in ein volles Waschbecken gelegt und die Ameisen ertränkt. Den größten Ärger haben aber die Ameisen im Zimmer gemacht. So ein Vieh, sagte sie, das über den Teppichboden läuft, läßt sich nämlich nicht so einfach tottreten. Ich hab’s ein paarmal versucht, aber die Ameisen waren immer nur betäubt, weil das Gewebe des Teppichs zu stark ist und den Tritt abfängt. Sie blieben ein bißchen liegen und liefen dann weiter. Dann habe ich mich auf den Boden gesetzt und habe die Ameisen mit einem Stöckelabsatz einzeln erschlagen und einzeln ins Waschbecken getragen! Frau Hornung lachte, und Abschaffel hielt sich das Cognacglas vor den Mund, damit die Unbewegtheit seines Gesichts wenigstens zur Hälfte verborgen blieb.
Wenig später hatte er den kleinen Körper von Frau Hornung im Arm. Sie stellten die Cognacgläser ab und griffen sich an die geläufigen Stellen. In dem Eifer, den sie zeigte, sah er seine Vermutung bestätigt, daß auch sie eine Rechnung beglich. Sie faßten den Geschlechtsverkehr als Ritual einer Kränkung auf, und weil beide die gleiche Person kränkten, verlief ihre Geschlechtlichkeit noch rascher als sonst. Es wurde der eiligste Geschlechtsverkehr, den er je erlebt hatte. Sie öffnete leise die Wohnzimmertür, nahm ihn an der Hand und ging mit ihm ins Schlafzimmer. Im Schlafzimmer schaltete sie die Innenbeleuchtung eines Globus an. Wahrscheinlich war der Globus ein altes Hochzeitsgeschenk, überlegte er, an dem sich die Hornungs zwar satt gesehen hatten, aber sie trauten sich nicht, das Ding einfach wegzuwerfen. Heute diente es ihnen als Beischlafbeleuchtung. Er spürte, daß von der Wahrnehmung der Intimität dieser Leute schon eine befriedigende Wirkung auf ihn ausging. Er sah sich um, so gut er konnte. An einer Seitenwand entdeckte er eine Waschmaschine. Frau Hornung bemerkte, daß er die Waschmaschine gesehen hatte, und sagte: Unser Bad ist zu klein, wir mußten die Maschine hier hereinstellen. Neben der Waschmaschine war ein kleines Waschbecken. Hornung hatte das Waschbecken wahrscheinlich installieren lassen, damit der Waschmaschinenbetrieb
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